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Interview

Wie tickt die junge Generation?

23.03.2023

Paul von Preußen berät Unternehmen, wie sie junge Menschen über digitale Medien erreichen können. Foto: DIGITAL8
Paul von Preußen berät Unternehmen, wie sie junge Menschen über digitale Medien erreichen können. Foto: DIGITAL8

„Die junge Generation kann mehr fordern. Sie ist es gewohnt, ihre Meinung herauszuposaunen“, sagt der Unternehmensberater Paul von Preußen. Was müssen Arbeitgeber tun, um junge Mitarbeiter zu gewinnen – und was kann die Kirche tun, um sie zu erreichen? Darüber sprach mit von Preußen IDEA-Reporter Karsten Huhn.

IDEA: Angenommen ich wäre Chef eines mittelständischen Unternehmens und würde Sie als Berater buchen – was können Sie mir beibringen?

Von Preußen: Das kommt darauf an, was Sie lernen wollen. Wollen Sie Ihren Social-Media-Auftritt ausbauen oder die junge Generation als Mitarbeiter für Ihr Unternehmen gewinnen? Ich sehe uns weniger als Berater, die sagen: „Mach es genau so, es gibt nur den einen Weg.“ Viel lieber wollen wir Erlebnisse schaffen.

IDEA: Mein Unternehmen braucht dringend Mitarbeiter – wie komme ich an Nachwuchstalente?

Von Preußen: Was man deutlich merkt: Der Arbeitsmarkt hat sich verändert. Die Generation der geburtenstarken Babyboomer geht in Rente, und es kommen zu wenig junge Menschen auf den Arbeitsmarkt. Meine Generation kann sich den Job praktisch aussuchen. Ein gutes Einkommen ist deshalb nur noch ein Hygiene-Faktor …

IDEA: … ein Hygiene-Faktor?

Von Preußen: Das ist wie im Hotel: Wenn das Zimmer und Bad nicht blitzsauber sind, übernachte ich als Gast gar nicht erst dort. Das ist eine Voraussetzung, über die man nicht mehr diskutieren muss und mit der man beim Gast nicht besonders punkten kann. Ein gutes Hotel muss mehr bieten, zum Beispiel mit einer einladenden Bar, sympathischen Angestellten oder einem schönen Spa-Bereich.

IDEA: Wie können Unternehmen bei Mitarbeitern punkten?

Von Preußen: Oft werden der Obstkorb und der Tischkicker genannt. Das halte ich für nicht so relevant. Unserer Generation geht es auch nicht mehr darum, ob wir den dickeren Dienstwagen haben als der Kollege. Unser Fokus liegt eher auf Sinn, Gemeinschaft und Familie. Das bedeutet zum Beispiel, dass ich mir Unternehmen auch danach aussuche, wie gut diese sich in mein Wertesystem einfügen, wie flexibel ich im Homeoffice arbeiten oder auch am Freitag freinehmen kann. Ob ich dabei nun etwas mehr oder weniger verdiene, ist nicht so wichtig. Ich mache, was mir mehr Spaß macht. Work-Life-Balance nennt man das.

IDEA: Was muss zum Einkommen noch dazukommen?

Von Preußen: Ich prüfe: Vertritt das Unternehmen meine Werte? Werde ich im Unternehmen gehört? Kann ich Einfluss auf Entscheidungen nehmen? Die junge Generation kann mehr fordern. Sie ist es gewohnt, ihre Meinung herauszuposaunen – und sie tut das auch. Zugespitzt gesagt: Meine Generation ist in dem Bewusstsein groß geworden, dass man im Grunde alles kann und jeder hochbegabt ist. Und bei Sportturnieren bekommt jeder eine Medaille – auch dann, wenn man verloren hat. Deshalb müssen Unternehmen jungen Mitarbeitern das Gefühl vermitteln, dass ihre Meinung gefragt ist, dass sie mitgestalten können. Dann steigt die Chance, sie an sich zu binden.

IDEA: Das klingt nach einer sehr anspruchsvollen und verwöhnten Generation.

Von Preußen: Wir sind nicht alle gleich. Den Eindruck kann ich aber trotzdem nachvollziehen. Vor kurzem sprach ich mit einem Unternehmer. Er sagte mir: „Ich verstehe die junge Generation nicht. Vor kurzem war ein Mitarbeiter bei mir, der wollte mehr Verantwortung und mehr Gehalt und gleichzeitig weniger arbeiten.“ Der Unternehmer konnte das nicht bieten. Da hat der Mitarbeiter gekündigt. Es prallen Welten aufeinander, die sich nicht verstehen. Auf der anderen Seite: Die junge Generation sind nur die Kinder der älteren Generation. Unsere Eltern haben uns so erzogen! Und unsere Forderungen sind eine Folge von steigendem Wohlstand und zunehmendem Fachkräftemangel. Vor 40 Jahren gab es einen Arbeitgebermarkt, und ein Bewerber musste froh sein, wenn er eine Stelle bekam. Heute ist es umgedreht: Inzwischen gibt es Plattformen, auf denen sich Unternehmen um Mitarbeiter bewerben. Ein guter Chef sollte sich auch eher wie Jürgen Klopp benehmen und nicht wie Felix Magath.

IDEA: Klopp inszeniert sich als der beste Freund seiner Spieler, dagegen ließ „Quälix“ Magath seine Spieler Medizinbälle schleppen und trieb sie den „Kotzhügel“ hoch.

Von Preußen: Da können mittelständische Unternehmer punkten: In kleineren Unternehmen gibt es nicht so viele Hierarchieebenen zwischen dem Chef und einem Mitarbeiter. Wenn ich das Ohr des Chefs habe und meine Ideen einbringen kann, ist das viel wert.

IDEA: Welchen Social-Media-Auftritt braucht mein Unternehmen?

Von Preußen: Wenn Ihr Unternehmen nicht auf LinkedIn vertreten ist, sollte eine Anmeldung dort das Erste sein, was Sie nach diesem Gespräch machen. Meine Generation schaut als Erstes ins Netz, wenn es sich über ein Unternehmen informiert. Und Menschen folgen Menschen. Deshalb würde ich vor einer Bewerbung erst mal schauen, was der Vorstandschef so schreibt. So wie er sich dort gibt, so leitet er vermutlich auch sein Unternehmen. Man könnte sich auch überlegen, ob man zum Beispiel auf TikTok vertreten sein will. Es gibt einige Unternehmen, die sich dort authentisch und mit etwas Humor präsentieren, um neue Mitarbeiter zu rekrutieren. Damit hebt man sich positiv von der großen Masse der Unternehmen ab.

IDEA: Wenn das Video nur mittelmäßig bis peinlich ist, kann dieser Versuch auch nach hinten losgehen.

Von Preußen: Klar, wenn Social Media, dann richtig. Diese Aufgabe sollte man nicht dem Praktikanten überlassen. Die besten Auftritte sind nicht die Unternehmensprofile, sondern die persönlichen des Chefs selbst. Meine Generation will auch nicht Hochglanz und Filter, sondern Authentizität. Ein Unternehmen sollte sich so zeigen, wie es wirklich ist.

IDEA: Sie beraten auch das Erzbistum Aachen. Was raten Sie den Kirchen für ihren Social-Media-Auftritt?

Von Preußen: In vielen Gottesdiensten, die ich besuche, sind oft nicht mehr als zehn Menschen und aus der jungen Generation niemand. Die Kirche sollte dahin gehen, wo die Menschen sind. Und junge Menschen sind in den Sozialen Medien – da muss die Kirche auch sein. Der Bedarf nach Gemeinschaft und Begegnung hat sich nicht verändert, die Plattformen und Kommunikationswege sind heute aber völlig andere. Das haben leider die wenigsten verstanden.

IDEA: Inzwischen gibt es viele verschiedene Plattformen: YouTube, Facebook, Instagram, TikTok und Twitch – soll die Kirche alle gleichzeitig bespielen?

Von Preußen: Grundsätzlich gilt: Erst mal die Hausaufgaben machen, dann auf den nächsten Zug aufspringen. Jeder Kanal hat seine Eigenheiten. Was ich auf Instagram poste, kann ich nicht genauso auf TikTok veröffentlichen. Ich würde mich zunächst auf den Kanal fokussieren, von dem ich denke, dass meine Zielgruppe dort am ehesten unterwegs ist. Aber es ist auch wichtig zu experimentieren, sich von der Masse abzuheben. Die katholische Kirche würde ich am liebsten auf TikTok sehen, mit coolen, gut gemachten Videos.

IDEA: Das ist sehr aufwendig.

Von Preußen: Ganz ehrlich? Lieber mache ich aufwendige Videos, als dass ich aussterbe. Ich würde zum Beispiel mit kleinen Impulsen anfangen, die in einfacher Sprache das Evangelium erzählen. Das darf natürlich nicht cringe, also unfreiwillig komisch, rüberkommen. Die Kirche sollte bei ihren geistlichen Inhalten bleiben, diese auf die richtigen Kanäle bringen und eine Sprache wählen, die durch die Zielgruppe auch verstanden wird.

IDEA: Die Sprache der Jugend kann ich nur sprechen, wenn ich selber jung bin.

Von Preußen: Deshalb sollte die Kirche auf diesen Plattformen auch junge Botschafter einsetzen.

IDEA: Die evangelische Kirche tut das mit ihrer Plattform Yeet bereits.

Von Preußen: Wie heißt diese Plattform?

IDEA: Yeet.

Von Preußen: Aha!

IDEA: Noch nie gehört? Yeet ist auf praktisch auf allen Plattformen aktiv.

Von Preußen: Das ist leider noch nicht zu mir vorgedrungen.

IDEA: Das ist kein gutes Zeichen für Yeet.

Von Preußen: Ich werde es mir nach diesem Gespräch in jedem Fall mal anschauen.

IDEA: Wie wird die Kirche im Netz bekannter?

Von Preußen: Am besten ist: Nicht erst 20 Jahre überlegen, sondern einfach anfangen und ausprobieren. Wer gute Inhalte hat und in einem Bereich unterwegs ist, wo noch nicht so viele aktiv sind, hat gute Möglichkeiten. Außerdem gilt: Menschen folgen Menschen, das gilt auch auf Social Media. Also keinen anonymen Kirchenaccount starten, sondern echte Menschen zeigen. Und: Weniger Infografiken, Zitate oder Stockbilder und mehr Bilder und Videos von echten Menschen, authentische Einblicke.

IDEA: Die Kirche konkurriert dann mit Katzenvideos, Kuriositäten und Influencern aller Art.

Von Preußen: Die digitalen Medien spammen uns mit Informationen ohne Ende zu. Dadurch entsteht riesiger digitaler Stress. Zu filtern, was wichtig ist und was nicht, ist für jeden Nutzer eine große Herausforderung. Wenn ich heute ein Unternehmen aufbauen würde, dann wäre es wahrscheinlich eine Entzugsklinik für Digitalsüchtige. Sie würde sicher viel Zulauf bekommen. Ich habe von vielen Leuten gehört: „Paul, ich habe TikTok gelöscht, weil ich süchtig danach war.“ Ein Video folgt auf das nächste – der Algorithmus ist darauf ausgerichtet, mich am Smartphone zu halten. Er analysiert meine Vorlieben sehr genau und zeigt mir nur die Inhalte, die ich sehen will. Und dann hängt man stundenlang fest.

IDEA: Das wäre ein Argument dafür, dass sich die Kirchen an diesem höllischen Angebot nicht auch noch beteiligen.

Von Preußen: Diese Grundsatzdiskussion halte ich für wichtig: Auf der einen Seite möchte man die Sucht nicht unterstützen, auf der anderen Seite nutzen aber viele Menschen diese Plattformen. Mein Argument lautet deshalb: Wenn diese Plattform schon einmal da ist, dann bespielt sie doch mit sinnvollen Angeboten!

IDEA: Welche kirchlichen Influencer können Sie empfehlen?

Von Preußen: Ich finde Jana Highholder ganz gut, weil sie authentisch Themen anspricht, die ihr wichtig sind. Sie hat auch die Stärke, Gegenwind auszuhalten. Super finde ich auch Millane Friesen. Sie schafft es, sehr offen und vertrauenswürdig über ihren christlichen Glauben zu erzählen, und geht auch gut auf Kritik daran ein.

IDEA: In der Vergangenheit lernten die Jüngeren von den Älteren. Mit Ihrer Unternehmensberatung gehen Sie den umgekehrten Weg. Welches Wissen haben die Jungen den Alten voraus?

Von Preußen: Wir sind praktisch mit dem Smartphone in der Hand groß geworden, es ist wie unser verlängerter Arm. Wir sind einfach digitale Muttersprachler. Die ältere Generation muss diesen Umgang erst lernen. Der Austausch zwischen den Generationen ist mir deshalb so wichtig, weil es immer besser ist, miteinander zu reden als übereinander. Das gilt in Unternehmen wie in der Kirche. Das Modeunternehmen Gucci ist dafür ein hervorragendes Beispiel.

IDEA: Wie kommen Sie auf Gucci?

Von Preußen: Gucci hat 2014 ungefähr den gleichen Umsatz gemacht wie der Konkurrent Prada. Dann kam ein neues Management zu Gucci. Es hat einen Schattenvorstand aufgebaut, der nur aus jungen Leuten bestand. Die durften an den Vorstandssitzungen teilnehmen, dort mitdiskutieren und die Entscheidungen des Vorstandes kritisieren. Vier Jahre später war der Umsatz von Gucci um 136 % gestiegen, während er bei Prada gesunken war. Heute ist Gucci mit Abstand die beliebteste Marke der jungen Generation. Gucci hatte verstanden, dass es für neue Trends und Themen auf den Rat der Jungen angewiesen war – das ist in der Modebranche besonders naheliegend. So ein Schattenvorstand würde auch den Kirchen guttun.

IDEA: Welche Apps haben Sie selbst auf Ihrem Smartphone installiert?

Von Preußen: Ich empfehle Spotify, um Musik zu hören, nutze Slack für die Unternehmenskommunikation und Trello, um meine Aufgaben zu organisieren. Auch LinkedIn nutze ich stark und poste darauf mehrmals jede Woche. TikTok und Instagram habe ich nicht mehr, weil ich damit zu viel Zeit verschwendet habe. Es geht nicht darum, alles mitzumachen. Man kann Dinge mal ausprobieren, man kann sie aber auch wieder löschen.

IDEA: Vielen Dank für das Gespräch!

Paul von Preußen (27) gründete 2018 das Unternehmen Ditigal8, das Firmen bei der digitalen Transformation berät. Zuvor studierte er Betriebswirtschaft und arbeitete bei der Commerzbank. Von Preußen ist evangelisch, verheiratet und direkter Nachfahre des letzten deutschen Kaisers.

Erleben Sie von Preußen auf dem KCF:
Paul von Preußen ist einer der Redner auf dem Kongress Christlicher Führungskräfte. Dieser findet vom 27. bis 29. April in Berlin statt. Veranstalter des KCF ist die Evangelische Nachrichtenagentur IDEA.

kcf.de | 06441 915-555

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