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Kolumne

Virtualität versus Realität

13.06.2023

Daniel Rehfeld
Daniel Rehfeld

Seit meinem sechsten Lebensjahr trage ich eine Brille. Glücklicherweise wurde meine Sehschwäche rechtzeitig bemerkt, sodass ich mich heute weitgehend auch ohne dieses Hilfsmittel zurechtfinden könnte. Während ich zur Schulzeit wegen der Brille zuweilen gehänselt wurde, komme ich mir heute ohne Gläser richtig fremd vor. Und inzwischen hat sich auch die gesellschaftliche Akzeptanz gewandelt. Brillen gelten heute als hip. Und – im Gegensatz zu früher – gilt: je grösser die Gläser, umso stärker der Blickfang. Offenbar scheint es inzwischen sogar Menschen zu geben, die das Ding als Accessoire tragen, ohne korrigierte Gläser.

Letzte Woche hat Apple seine neueste Innovation vorgestellt. Eine Hightech-Brille mit dem Namen „Vision Pro“. Sie ähnelt einer Skibrille, ist aber ungleich teurer und multifunktionaler. Während Kameras die Position der Augen aussen auf die Displays übertragen, übertragen die Aussenkameras die echte Realität auf Wunsch ins Innere. Das heisst, dass man die Realität in die Virtualität integrieren kann. Daher auch die Bezeichnung VR-Brille (Virtual Reality). Die technische Zauberei ist natürlich nicht für den Aufenthalt im Stossverkehr oder den Einkaufsbummel gedacht, sondern soll der Unterhaltung und der Wissenschaft dienen. So kann die Brille in medizinischen Belangen helfen, innere Organe aus allen Perspektiven erkennen zu können. Das „Spielzeug“ kostet 3500 Dollar.

Die Sehnsucht nach „einer anderen Welt“ beschäftigt die Menschheit nicht erst seit der Erfindung des Computers. Wenn ich mehr Geld hätte. Wenn ich erfolgreicher wäre. Wenn ich nicht so schiefe Zähne besitzen würde. Wenn mich der Chef mal ausreden lassen würde. Wenn ich mir endlich die Weltreise gönnen könnte. Wenn ich ohne Schmerzmittel auskommen würde. Wenn meine Teenager nicht so anstrengend wären. Wenn sich meine Eltern besser vertragen ­würden. – Oder natürlich auch die sprichwörtlich ­„frommen Wünsche“. Wenn unser Lobpreis professioneller tönen würde. Wenn unser Pastor verständlicher predigen würde. Wenn die Spenden reichen würden. Wenn sich mehr Menschen Gott zuwenden würden. Wenn die Einheit der Christen sichtbarer wäre. Die Liste liesse sich beliebig verlängern und irgendwo wird sich jeder finden. Fakt ist, dass unsere Realität selten mit unseren Wünschen übereinstimmt. Da kann auch eine virtuelle Brille nicht viel ändern. Umso besser zu wissen, dass Einer den Überblick hat. 

Daniel Rehfeld, Chefredaktor

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