- ANZEIGE -
E-Paper Abo Anmelden
Ressorts
icon-logo

Interview

Eine neue Ära fürs christliche Webportal

05.02.2023

Beat Baumann; Florian Wüthrich. Fotos: zvg; Yannick Spriessler
Beat Baumann; Florian Wüthrich. Fotos: zvg; Yannick Spriessler

(IDEA) - Bei Livenet kommt es am 1. Februar zu einem Leitungswechsel. Der Gründer und langjährige Geschäftsführer Beat Baumann übergibt die Führung an Flo Wüthrich. Dieser möchte das Profil der Vernetzungsplattform schärfen und die evangelistischen Angebote ausbauen. Der Pionier bleibt als Präsident weiter an Bord, konzentriert sich aber künftig auf weltweite Projekte. 

IDEA: Flo Wüthrich, an Ihrem 40. Geburtstag unterschreiben Sie den Vertrag als Geschäftsführer von Livenet. Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf?

Wüthrich: Es ist eine Mischung aus Freude, dass ich bei Livenet eine neue Herausforderung annehmen darf, und viel Verantwortungsgefühl und Respekt vor den neuen Schuhen, in denen ich nun stehe.

Livenet wurde als „Portal von Schweizer Christen“ gegründet. Beat Baumann, welche Vision führte im April 2000 dazu?

Baumann: Einerseits ging es darum, Christen zu vernetzen, zu ermutigen und zu informieren. In Deutschland gab es bereits solche Plattformen und ich wollte etwas Ähnliches in der Schweiz vorantreiben. Andererseits hatte ich den Wunsch, das Evangelium in der Schweiz zu verbreiten, und schon damals ging die Vision über unser Land hinaus. Der Wunsch war da, dass die Verbreitung weltweit Kreise zieht.

Livenet ging zehn Jahre nach der Gründung von World Wide Web an den Start. Das Internet steckte noch in den Kinderschuhen. Unter welchen Voraussetzungen haben Sie da gearbeitet?

B: Es war die Zeit der analogen Modems, die sich lautstark einwählten und für Unterbrechungen sorgten. Längst nicht jeder nutzte das Internet, es war eine Pionierphase. Namhafte Leiter christlicher Organisationen waren skeptisch, ob wir als Christen überhaupt im Internet präsent sein sollten. Aber man hat schnell erkannt, dass es ein Mittel ist, das man für gute und schlechte Zwecke nutzen kann (schmunzelt). In den ersten Jahren hatten wir einen massiven Zuwachs an Usern und konnten ein Jahr später die Domain jesus.ch in Betrieb nehmen.

Das heisst, Livenet ist enorm rasch gewachsen.

B: Ja, und damit auch die Angebote. Mit der evangelistischen Plattform kam das Bedürfnis nach Beratung hinzu, die wir unter dem Stichwort „Lebenshilfe“ anboten. Die ersten Jahre waren geprägt von den Schwerpunkten Vernetzung, Evangelisation und Lebenshilfe.

Die Angebotspalette wuchs. Und die strukturellen Rahmenbedingungen?

B: In der ersten Phase war ich der einzige Angestellte. Zuerst ehrenamtlich, dann in Teilzeit. In den ersten zwei Jahren habe ich alle Stellenangebote und Kontaktanzeigen selbst veröffentlicht. Bruno Graber kam als erster Redaktor dazu sowie einige ehrenamtliche Mitarbeiterinnen. Wir arbeiteten mit analogen Programmen wie Dreamweaver und erstellten HTML-Websites. Ich startete Livenet ohne zu wissen, was eine Datenbank ist (lacht). Es war ein totaler Quereinstieg für mich als gelernter Krankenpfleger mit einer Leidenschaft für Networking und Evangelisation. Aber wir lernten schnell und wurden unterstützt. Und wir hatten von Anfang an die breite Unterstützung der Evangelischen Allianz und des Freikirchenverbandes.

Das tönt nach viel Idealismus und Pioniergeist. Wie ist Livenet heute aufgestellt?

W: Wir sind ein breit aufgestelltes, gut vernetztes Medien- und Missionswerk, das die Grundwerte Vernetzung, Lebenshilfe und Evangelisation konsequent umsetzt. Dahinter steht eine breite Palette von Angeboten und Kooperationen, die wir in der Schweiz ermöglichen. Alles, was wir tun, soll dazu dienen, dass Menschen das Evangelium hören und christliche Werte in die Gesellschaft hineingetragen werden. Kurz: Wir wollen Salz und Licht in dieser Welt sein.

Das breite Angebot gleicht einem Gemischtwarenladen. Sind Sie mehr Missionswerk, Medienunternehmen oder Beratungsstelle?

W: Ich bin ab und zu mit diesem Begriff konfrontiert worden, aber es gibt sowohl Schwächen als auch Stärken dieses Modells. In der nächsten Zeit wird es sicherlich eine Phase der Fokussierung geben, denn es ist wichtig, sich über die eigene Berufung und Identität im Klaren zu sein. Es gibt viele Bereiche, die wir mit Herzblut und Leidenschaft leben, andere sind in der Zwischenzeit eingerostet und müssen überprüft oder vielleicht auch abgeschnitten werden.

B: Coop arbeitet mit dem Slogan „Für dich und mich“, weil sie so eine Breite haben, und wenn man eine Plattform betreibt, die in der Vernetzung stark ist, braucht man diese DNA auch. Ich begrüsse aber die Fokussierung, die Flo vorantreibt. Vieles ist in den letzten Jahren organisch gewachsen und es ist wichtig, zu schauen, welche Angebote notwendig sind und auf welche man verzichten kann. Es geht darum, die Balance zwischen Breite und Profil sinnvoll abzuwägen und den Blick zu schärfen.

Ich beobachte, dass Livenet in der Öffentlichkeit hauptsächlich als Medienunternehmen wahrgenommen wird. Worauf konzentrieren Sie sich eher – die Stärkung von Christen oder die Verkündigung des Evangeliums?

W: (schmunzelt) Man kann das eine tun und das andere nicht lassen. Für mich gehen diese beiden Aspekte Hand in Hand. Wir wollen Christen dazu befähigen, eine Ausstrahlung in der Gesellschaft zu haben, und ihnen gleichzeitig auch brauchbare Mittel zur Verfügung stellen. Das kommt dem Auftrag nahe, das Evangelium selbst zu verkünden. In den Nachrichten wählen wir vor allem Geschichten aus, die Christen ermutigen sollen, seien es persönliche Erfahrungen oder weltweite Aufbrüche. Ich persönlich brauche auch beides. Zur Stärkung gehe ich in die Kirche, aber ich möchte auch meinen Nachbarn oder den Kollegen im Fussballclub den Glauben vorleben. So kann Livenet in beiden Bereichen Impulse und Inspiration geben.

Livenet dient immer wieder als Quelle für säkulare Medien. Wie gelingt die Balance zwischen objektivem Journalismus und dem Einstehen für eine Vision?

W: Die Frage nach dem journalistischen Handwerk bewegt uns immer wieder, vor allem in gesellschaftlichen Debatten. Es ist eine Frage der Gewichtung. Wollen wir uns auf Mut machende Geschichten konzentrieren oder den Diskurs unterschiedlicher Meinungen fördern? Es ist ein schmaler Grat zwischen Meinung bilden und Farbe bekennen. Es gibt keine abschliessende Antwort, sondern eine ständige Auseinandersetzung.

Wie ist es möglich, trotz der vielen Tätigkeitsfelder eine gute Qualität zu gewährleisten?

B: Es gibt ein publizistisches Angebot von Livenet. Die Plattform lebt aber auch von der Vernetzung und den damit verbundenen Inhalten der Community. Wir haben verschiedene Phasen erlebt. Früher waren Chat und E-Mail-Beratung sehr gefragt, im Zeitalter der sozialen Netzwerke wurde das überflüssig. Livenet lebt aber nach wie vor von der Vernetzung und ist ein grosser Marktplatz für Veranstaltungen und Angebote verschiedener Kirchen und Organisationen. Die Aufgabe der Administration ist es deshalb, diese Inhalte aufzubereiten. Daneben gibt es Kooperationen mit uns angeschlossenen Werken, bei denen Livenet als Dienstleister für Administration, Buchhaltung, Fundraising oder IT auftritt. Solche Partnerschaften bestehen mit den Christlichen Geschäftsleuten Schweiz (CGS), mit Christus für alle oder dem GO Movement. Die Grundfrage der Zukunft wird sein, inwieweit wir uns als Medienwerk oder Kooperationsplattform verstehen und wie weit unsere Ausstrahlung reicht. Ich freue mich, dass wir in den Regionen als dienende Hand in Sachen Medien und Evangelisation wahrgenommen werden.

Welche Angebote sind derzeit am meisten gefragt bei Livenet?

W: Die Aussensicht fehlt noch weitgehend, aber es gibt eine interne Befragung. Ich habe 31 Mitarbeitergespräche geführt und diese geben neben den Kundenkontakten ein Bild der Bedürfnisse. Demnach werden vor allem die täglichen News im Schaufenster, die regionalen Verteilzeitungen „Hope“, der Stellenmarkt und verschiedene andere Tools geschätzt, auf denen wir aufbauen können. Bei den „Hope“-Zeitungen ist sicher noch Luft nach oben, was die Motivation der einzelnen Gemeinden betrifft. Es wäre schön, wenn sich noch mehr Menschen von der „Hope“-Welle anstecken lassen und dieses Medium nutzen würden, um mit ihren Mitmenschen ins Gespräch zu kommen.

Sie sind seit knapp zehn Jahren Redaktionsleiter. Was motiviert Sie, in neuer Funktion Ihr Engagement für Livenet einzubringen?

W: Für mich ist es eine Ehre, die von Beat Baumann und seinen Mitstreitern begonnene Geschichte, die Gott selbst geschrieben hat, weiterführen zu dürfen. Zu meinem Stellenprofil möchte ich sagen, dass es mir schon immer ein Anliegen war, Menschen zu leiten. Das begann mit 19 Jahren, als ich bei einem Lokalradio arbeitete und meine ersten Führungsaufgaben übernahm, und dieses Verantwortungsbewusstsein hat sich bis heute fortgesetzt. Bisher war ich sowohl im journalistischen als auch im kirchlichen Umfeld meist die Nummer zwei oder drei, sodass es für mich eine neue Herausforderung ist, in Zukunft die Nummer eins zu sein. Mit all den Erfahrungen, die ich in meinem Rucksack habe, traue ich mir das zu und spüre vor allem Gottes Führung in dem ganzen Prozess. Wenn ich ehrlich bin, ist die Leitung die grössere Leidenschaft als die rein journalistische Arbeit. Aber ich werde sie nicht aufgeben und vorerst weiter Chefredaktor bleiben.

Beat Baumann, Sie haben letzte Woche Ihr Büro geräumt. Wie fühlt es sich an, als Gründer von Livenet die weitere Entwicklung aus räumlicher Distanz zu verfolgen?

B: Es ist eine intensive Phase mit herausfordernden Momenten des Loslassens, gleichzeitig dauert der Prozess schon länger, da ich in den letzten Jahren vermehrt weltweit tätig war. Es war mein Wunsch, 2023 ganz für die Aufgaben von GO Movement frei zu sein, und der scheidende Präsident, Daniel Suter, hat diesen Schritt auch angeregt. Ich bin Gott sehr dankbar, wie er alles eingefädelt hat. Mit Flo steht der ideale Nachfolger bereit, das Team steht hinter ihm und der bisherige Verkaufsleiter war bereit, die Verantwortung für das Fundraising zu übernehmen. Ausserdem wurden wir von externen Beratern begleitet und der Vorstand steht voll hinter der Entwicklung (bekommt feuchte Augen). Es war für mich ein göttlicher Moment, als ich das Büro zügeln und Flo für seinen Dienst segnen durfte. Es ist schön zu spüren, wie er die Vision weiterträgt. Ich habe meiner Frau zu Hause gesagt, dass ich mich wie im Ruhestand fühle. Es ist ein Loslassen und ein Anpacken.

GO Movement ist weltweit tätig. Um einen Filmslogan zu bemühen – ist die Schweiz nicht genug?

B: Meine Berufung für den weltweiten Dienst geht in die Jugendjahre zurück. Zwei Tage, nachdem ich in der Methodistenkirche in Lausanne Jesus in mein Herz aufgenommen hatte, erhielt ich die Zusage, dass Gott mich brauchen würde, um Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt mit dem Evangelium zu erreichen. Und nun sind wir auf dem besten Weg dazu. Ich spüre den Segen von Flo und der Trägerschaft für meine neue Aufgabe und ich werde meinerseits dafür sorgen, dass die neue Geschäftsführung genug Rückenwind erhält für die Weiterentwicklung von Livenet.

W: Für mich wurde es besonders emotional, als ich Beat in Grindelwald am GO Movement erlebte, wie er die Ziele für die GO-Dekade (Ziele für eine 10-jährige Evangelisationskampagne, die Red.) mit den Verantwortlichen aus aller Welt diskutierte. Das hat mich tief bewegt. Es ist schön, ihn in dieser Aufgabe zu sehen. Denn auch wenn mein Fokus auf der Schweiz liegt, träume ich davon, dass Menschen weltweit mit dem Evangelium erreicht werden.

Mal abgesehen von der geistlichen Dimension ist der Wechsel für Sie beide auch ein (logischer) Aufstieg in der Karriereleiter. Das „Machtgefälle“ verschiebt sich quasi auf eine höhere Stufe. Sie sprechen von einem organischen Übergang. Was macht Sie sicher, dass dieser gelingt?

B: Die externe Begleitung durch Fachleute war entscheidend. Hinzu kommt, dass der bisherige Präsident noch einige Zeit im Vorstand bleibt und mir hilft, in die neue Funktion hineinzuwachsen. Wir haben Rollen, Ziele und Aufgaben geklärt. Ich sehe meine Rolle als Präsident eher als Moderator und in der Meinungsbildung, was ja auch ein demokratischer Prozess in einem Verein ist. Flo ist als beratende Stimme im Vorstand, braucht aber die volle Entscheidungskompetenz und da wollen wir ihn mit strategischen Zielen begleiten. Wir müssen sicher alle aufpassen, dass wir nicht in alte Rollen zurückfallen. Aber wir sind alle erwachsen genug, uns gegenseitig auf solche Muster hinzuweisen. Mit Haltung und Begleitung ist ein erfolgreicher Wandel möglich.

Fakt ist trotzdem, dass der Pionier an Bord bleibt. Worin liegt der Schlüssel, dass Sie sich dennoch entfalten können?

W: Wir müssen sicher auf die richtige Haltung achten, uns begleiten lassen und reflektieren. Es ist eine hohe Kunst und kann auch fragil werden, wie Berater uns sagten. Und der Prozess birgt durchaus Risiken. Andererseits ist unsere Beziehung in den vergangenen neun Jahren gewachsen und wir sind auch freundschaftlich verbunden. Michael Hein von „xpand“, unser Coach im Change-Management-Prozess, betont die Wichtigkeit guter Strukturen. Er sagte, dass es gut sei, auf das Herz zu hören, aber die Struktur müsse es unterstützen. Deshalb braucht es auch Entflechtung, Klärung und Fokussierung, um unsere Beziehungen zu schützen. Wir arbeiten daran, aber die Bewährungsprobe steht uns noch bevor.

Die Grundlage für die weitere Entwicklung von Livenet wurde an einer Retraite im letzten Jahr gelegt. Was hat sich in dieser Zeit herauskristallisiert in Bezug auf die künftige Positionierung von Livenet?

W: Wir wollen an unseren Stärken weiterarbeiten und das weiterentwickeln, was auf Resonanz stösst. Dazu gehören sicher die „Hope“-Zeitungen. Dort sehen wir im Bereich der Ortspatenschaften oder dem Engagement der lokalen Allianzen einiges an Potenzial. Daneben spüren wir auch die Gunst der Interviewpartner. In unserer Pfingstausgabe wird zum ersten Mal eine Bundesrätin Red und Antwort stehen. Es ist schön zu sehen, wie sich Türen in gesellschaftliche Bereiche öffnen, die bisher verschlossen waren. Daneben werden wir unsere gesamte Angebotspalette durchleuchten, um zu prüfen, welche Angebote bestehen bleiben. Klar ist: Bei den News und Erlebnisgeschichten im Online-Bereich wird es keine Kürzungen geben.

Beat Baumann, Sie werden sich künftig global ausrichten. Was wünschen Sie „Ihrem Kind“ Livenet?

B: Ich wünsche dem Team einen doppelten Segen: Wachstum und Fokussierung einerseits und gesellschaftliche Relevanz andererseits. Eine klare Verkündigung des Evangeliums und die Fähigkeit, Brücken zu bauen. Ich wünsche mir auch, dass sie in der Lage sind, noch viel besser und nützlicher zu sein, als wir es in der ersten Zeit waren.
(Interview: Daniel Rehfeld)


Livenet.ch

Livenet.ch wurde als Verein im Jahr 2000 gegründet und betreibt die Webportale Livenet.ch und Jesus.ch. Die Schwerpunkte konzentrieren sich auf Nachrichten, Vernetzung und Lebensberatung. Das Jahresbudget liegt bei 2,7 Millionen Franken, 44 Angestellte teilen sich 23 Vollzeitstellen, pro Tag werden 12 000 Menschen erreicht. Livenet ist Mitglied der Schweizerischen Evangelischen Allianz.
livenet.ch
 

Beat Baumann (53) ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und lebt in Interlaken. Nach einer Ausbildung als Krankenpfleger absolvierte er eine theologische Ausbildung beim IGW. Er hat einen Master in „Non-Profit-Management“. Im Jahre 2000 gründete er Livenet.ch und ist seither dessen Geschäftsführer.

Florian Wüthrich (40) ist verheiratet, Vater von drei Kindern und lebt in Burgdorf. Nach einer kaufmännischen Lehre wechselte er in die Medien. Er war bei verschiedenen Lokalradios tätig, sowohl journalistisch wie auch auf Führungsebene. Seit 2014 verantwortet er die redaktionellen Inhalte von Livenet.ch und Jesus.ch. Daneben ist er politisch engagiert und als Fussball-Schiedsrichter tätig. 

 

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

IDEA liefert Ihnen aktuelle Informationen und Meinungen aus der christlichen Welt. Mit einer Spende unterstützen Sie unsere Redakteure und unabhängigen Journalismus. Vielen Dank. 

Jetzt spenden.