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Politik

Gespaltenes Land: Christen rufen zur Versöhnung

10.11.2016

Donald Trump: Unterstützt von "der schweigenden Mehrheit". Foto: Michael Vadon/Wikimedia
Donald Trump: Unterstützt von "der schweigenden Mehrheit". Foto: Michael Vadon/Wikimedia

(idea/Livenet) - In einer Wahlkampfrede sagte Donald Trump, man stehe "an einem Scheideweg in der Geschichte unserer Zivilisation". Damit meinte er als Erstes die Ablösung des jetzigen Politsystems in den USA. Was das für die Weltpolitik bedeuten wird, weiss niemand. Auf jeden Fall ist es eingetroffen, was kein Politexperte gedacht hat. Die Karten sind neu gemischt worden. Politische Realitäten wurden über den Haufen geworfen. Was sagen amerikanische Christen? "Amerika nimmt eine neue Richtung - und, ob sie es wollen oder nicht, die Evangelikalen waren ein grosser Teil dieser Wirklichkeit", schreibt Ed Stetzer in "Christianity Today". Weisse Evangelikale hatten zu 81 Prozent für Trump gestimmt, und viele folgten damit nicht ihren Leitern, die sie vor Trump warnten. Dazu Ed Stetzer: "Diese Evangelikalen - und viele Amerikaner darüber hinaus - waren zornig genug, für einen erstaunlich unpopulären Kandidaten zu stimmen, der Veränderung versprach... Jetzt ist die Welt wütend, und viel Zorn richtet sich gegen die evangelikalen Trump-Wähler. Aber wir müssen daran denken, dass die Trump-Wähler nicht Trump sind.... Die, die ich kenne, hassen keine Immigranten (obwohl sie wissen, dass illegale Einwanderung ein wirtschaftliches und rechtliches Problem ist); sie glauben, dass eine multikulturelle Gesellschaft gut ist (auch wenn ihnen die politisch korrekte Sprache zum Hals heraushängt), und sie wollen wirklich das Beste für unser Land (auch wenn wir uns nicht einig sind, was das ist). Trotzdem haben sie Trump unterstützt.... Es ist einfach, zu sagen, dass sie ihn wählten, weil sie Frauen oder Minderheiten hassen, aber das ist eine faule und oberflächliche Analyse, unfair mit vielen. Die meisten sind nicht so. Viele haben Trump gewählt wegen dem, was sie glauben."

Wem Christen ihre Stimmen gaben

Aus Wählerbefragungen von "NBC News" geht hervor, dass Evangelikale einen grossen Anteil an Trumps Sieg hatten. Demnach haben 81 Prozent für den Republikaner gestimmt und 16 Prozent für die Demokratin Clinton. Das entspricht etwa den Ergebnissen der Wahl von 2012. Damals votierten 79 Prozent für den Republikaner Mitt Romney und 20 Prozent für Barack Obama. "NBC News" zufolge waren Katholiken deutlich mehr gespalten: 60 Prozent der weissen Katholiken entschieden sich für Trump (Clinton: 37 Prozent), während die Mehrheit der spanischstämmigen Katholiken Clinton (67 Prozent) wählte (Trump: 26 Prozent).

Jetzt zusammenstehen - trotz verschiedener Meinungen

"Diese Wahl war eine der gespaltensten, die dieses Land je gesehen hat" kommentiert Fox News. Und hält fest, wie christliche Leiter jetzt betonen, wie wichtig Einheit in Verschiedenheit ist. "Im Leib Christi ist Raum für verschiedene Meinungen. Wir sind uns dauernd uneinig. Aber wir sind Menschen der Vergebung. Wir müssen fähig sein, vergebend verschiedener Meinung zu sein. Wir haben die Botschaft der Erlösung und Versöhnung - darum müssen wir jetzt unter der realen Autorität von Jesus zusammenhalten", sagt der CBN-Seelsorger Joel Palser.

Rick Warren: Grund zur Hoffnung nach der Wahl

 "Gott wird Amerika nicht verlassen", ist Saddleback-Pastor Rick Warren überzeugt. Gründe zur Hoffnung sind unter anderem die Tatsache, dass der Glaube blüht, wenn die Menschen desillusioniert und die Zeiten schwierig sind. Die Millenials stellten weiter die richtigen Fragen über das Leben. Und die Welt als Ganzes werde religiöser, nicht ungläubiger. Vor allem aber hält Warren mit Blick auf die Bibel, 2. Chronik, Kapitel 7, Vers 14 fest: "Gott hört Gebete, wenn wir uns demütigen."

"Konservative Evangelikale sind politisch heimatlos"

In der "Washington Post" ermahnt Russell Moore, Präsident der Kommission für Ethik und religiöse Freiheit der Südlichen Baptisten, Christen - gerade weil die Kampagne demoralisierend und traumatisierend für viele war - für den neuen Präsidenten zu beten, dass es ihm gelingt, das Land mit Weisheit und Gerechtigkeit zu führen. Moore analysiert, dass die Art von Konservativismus, auf den viele gehofft hätten - multiethnisch, konstitutionell verankert und vorwärtsschauend - durch etwas anderes ersetzt worden sei. Stattdessen gebe es nun einen ethno-nationalistischen Populismus, fast wie in Europa, begleitet von einer zunehmend linken progressiven Entwicklung bei den Demokraten. Die politische Schere tut sich auf, und in beiden Bewegungen würden moralische Kriterien wie persönlicher Charakter und stabile Familien marginalisiert. Eine Politik der sexuellen Revolution herrsche quer durch die Landschaft vor. Und das bedeute, dass konservative Evangelikale politisch heimatlos sind, ob sie es wissen oder nicht.

Unrecht beim Namen nennen

Trotzdem - oder gerade deswegen - müssten Christen die prophetische Klarheit behalten, alles, was ungerecht, falsch und gegen Christus sei, zur Busse zu rufen, sei es die Abtreibungs-, die Scheidungs- oder die Rassismus-Kultur. Kirchen sollten aber auch Orte der Versöhnung und des Reiches Gottes sein. "Der Leib Christi ist weiss und schwarz und Latino und Asiatisch, Mann und Frau, arm und reich. Unser Haupt spricht aramäisch und ist aus dem Nahen Osten." Darum "geht alles, was spanischsprechende und asiatische Christen betrifft, auch die weissen Christen an. Und die Armut und soziale Unruhe der weissen Arbeiterklasse sollte auch schwarze, hispanische und asiatische Christen beschäftigen. Wir gehören zueinander, weil wir zu Christus gehören." Dann tritt er einen Schritt zurück und hält fest: "Wir sind nicht zuerst Republikaner oder Demokraten, konservativ oder progressiv. Wir sind nicht einmal zuerst Amerikaner. Wir sind die Kirche des auferstandenen und triumphierenden Jesus Christus. Darum ist diese Wahl zwar wichtig für unser Land, aber nicht eine Katastrophe für den Kosmos."

US-Evangelikale: Jetzt muss die Heilung der Nation beginnen

In den USA riefen währenddessen mehrere führende Evangelikale dazu auf, den Wahlkampf, der das Land gespalten habe, hinter sich zu lassen. Der Präsident der Billy-Graham-Gesellschaft und des Hilfswerks "Samaritan's Purse" (Geldbörse des Samariters), Franklin Graham (Charlotte/Bundesstaat Nord Carolina), schrieb auf Facebook, das Land habe viele Probleme, die gemeinsam gelöst werden müssten. Er ermutigte, für den künftigen Präsidenten und seinen Stellvertreter Mike Pence zu beten. Mehrere Evangelikale gaben ferner eine Erklärung ab, in der sie alle Amerikaner aufforderten, das Ergebnis zu respektieren. Jetzt müsse die Heilung der Nation beginnen. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderen der Präsident der Evangelischen Allianz in den USA, Leith Anderson (Washington), der Vorstandsvorsitzende der 1956 vom Evangelisten Billy Graham gegründeten evangelikalen Zeitung "Christianity Today" (Christenheit heute), Harold Smith (Carol Stream bei Chicago), und der Gründer der Kommunität Sojourners (Gäste), Jim Wallis (Washington). Der leitende Pastor der Megakirche "First Baptist Church" in Dallas (US-Bundesstaat Texas), Robert Jeffress, gratulierte "meinem Freund Donald Trump" zur Wahl. Jeffress hatte ihn bereits im Vorfeld gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea als den besseren Kandidaten für das Amt des US-Präsidenten bezeichnet. Seine Gemeinde hat 12.000 Mitglieder und gehört zum (evangelikalen) Bund der Südlichen Baptisten. Viele Evangelikale schätzten, so Jeffress, den Immobilienunternehmer: "Er mag zwar nicht so wie wir sein, aber er mag uns." Trump sei eine willkommene Befreiung.

Michael Kotsch: "Zwanghafte Festlegung"

Der deutsche Theologe und Buchautor Michael Kotsch (Horn-Bad Meinberg) hat das Wahlverhalten der Evangelikalen in den USA kritisiert. Befragungen zufolge hatten sie einen grossen Anteil am Sieg des Republikaners Donald Trump über seine demokratische Konkurrentin Hillary Clinton: 81 Prozent stimmten für ihn, 16 Prozent für Clinton. Kotsch nannte auf Facebook die "fast zwanghafte Festlegung" von US-Evangelikalen auf den republikanischen Kandidaten "äusserst bedenklich". Trump habe sich bei einigen sexualethischen Fragen wie Homosexualität, Gender und Abtreibung im Sinne der Evangelikalen geäussert. Dabei machten diese Fragen, so Kotsch, nur etwa fünf Prozent der Entscheidungen im politischen Alltagsgeschäft aus: "Leider lassen sich evangelikale Amerikaner so einfach berechnen. Politiker brauchen nur zwei oder drei Schlüsselbegriffe fallenlassen, und schon haben sie die Sympathie der Christen."

Lutherischer Theologe: Mehrheit der US-Wähler ist erbost von der Arroganz der linksliberalen Eliten

Laut dem Journalisten und lutherischen Theologen Uwe Siemon-Netto (Laguna Woods/US-Bundesstaat Kalifornien) ist der Triumph Trumps "so furchterregend, wie ein Sieg Clintons gewesen wäre". Er zeige aber, wie tief verletzt die Mehrheit der US-Wähler von der Arroganz der linksliberalen Eliten sei, für die Clinton stehe. Zum einen hätten diese der amerikanischen Mittelschicht neue "Werte" aufgezwungen - "zum Beispiel die Glorifizierung der Homosexualität und den Massenmord ungeborener Kinder" -, und zum anderen seien die Einkommen der Durchschnittsbürger unaufhaltsam gesunken. Wären diese Wähler gut informiert gewesen, dann hätten sie in den Vorwahlen vernünftig handeln und einen geeigneteren republikanischen Kandidaten küren können, sagte Siemon-Netto gegenüber idea. 

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