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Glaube

Dr. Seiler: „Es gibt krankmachende, religiöse Aspekte“

02.11.2016

Albrecht Seiler: "Das kommt in allen religiösen Lagern vor." Foto: idea/rh
Albrecht Seiler: "Das kommt in allen religiösen Lagern vor." Foto: idea/rh

Herr Dr. Seiler, Sie sind seit März dieses Jahres Chefarzt der Klinik SGM. Wie geht es Ihnen?Sehr gut! Vorher war ich leitender Arzt im stationären Bereich. Wirklich neu hinzugekommen sind die Aufgaben innerhalb der Klinikleitung.Ihre Klinik integriert geistliche Aspekte in das ganzheitliche Therapiekonzept. Macht Glaube gesund?Das ist so und empirisch gut belegt. Menschen, die in einem weiten Sinn gläubig sind – sagen wir mal spirituelle Menschen –, sind gesundheitlich besser dran.

Was verstehen Sie unter einem spirituellen Menschen?

Das ist jemand, für den Übernatürliches Realität ist.Knüpfen wir beim Thema Ihrer Fachtagung an, die sich mit problematischem Glauben befassen wird. Wie ist ein Glaube, der gesund macht?Das ist ein Glaube, der auf Beziehung baut und Ressourcen und Gaben entfaltet.Werden in der Klinik SGM Menschen behandelt, bei denen man sagen muss, ihr Glaube hat sie krank gemacht?Ja. Jetzt müssen wir aber zuerst die Begrifflichkeiten klären. Es geht um den Glauben, den der Betroffene hat. Ein Teil unserer Patientinnen und Patienten lebt mit religiösen Vorstellungen, die nicht förderlich sind.Kommen diese vorwiegend aus dem katholischen, evangelischen oder freikirchlichen Bereich?Meine Antwort ist: Ja.Bitte? Ach so, Sie meinen, diese kommen aus allen Konfessionen. Betrachten wir den Freikirchenbereich. Kommen die Hilfesuchenden eher aus den traditionellen Gemeinden oder aus den charismatischen Kreisen?Meine Antwort ist wieder Ja. Probleme, die aus Glaubensvorstellungen resultieren, hängen nicht mit der Konfession zusammen und auch nicht mit der Denomination.Sondern?Krankmachend sind drei Aspekte: Religiöse Systeme, Personen, die das System für sich ausnutzen und religiöse Vorstellungen, Gedanken oder Bilder, die nicht konstruktiv sind und Depressionen, Zwänge oder Ängste fördern und in Abhängigkeiten führen. Das kommt in allen religiösen Lagern vor.Und das liefert einer Einrichtung wie der Klinik SGM ständig neue Patienten …Nein. Unser Auftrag ist es, leidende und Hilfe suchende Menschen zu begleiten. Die religiösen Themen sind ein Teil, aber nicht der Hauptteil. Die Menschen, die zu uns kommen, wissen, dass an der Klinik SGM Themen aus  dem religiösen Kontext eine Rolle spielen und sie diese Themen bei uns zur Sprache bringen können.Können Sie uns dies anhand eines Beispiels erklären?Gerne. Ein Mensch hat eine schizophrene Erkrankung, aber eine „gesunde“ Gottesbeziehung. Nun entgleist er, indem er Stimmen hört, nicht mehr sicher ist, wer er ist, und gleichzeitig redet er von Gott. Einem Fachmann, der nicht differenziert mit geistlichen Dingen umgehen kann, fällt es schwer, das religiöse Erleben und das Krankheitserleben dieses Menschen auseinanderzuhalten. Doch ein Schizophreniekranker in einer akuten Krankheitsphase kann dennoch einen gesunden Glauben haben. Mitarbeitenden unserer Fachklinik fällt diese Unterscheidung leichter. Wir kennen beides: die psychiatrische Erkrankung und den gesunden Glauben. Allerdings ist es nicht einfach, herauszufinden, wo der gesunde Gaube aufhört und wo das Krankhafte beginnt. Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass eine gesunde Gottesbeziehung der Gesundheit förderlich ist.Das Evangelium ist eine frohe Botschaft. Sie schenkt den Menschen Vergebung, Freiheit und Freude. Was kann da schiefgehen, was führt zu geistlichem Missbrauch?Missbrauch im Religiösen ist eine Verdrehung von Gutem oder gut Gemeintem. Den Begriff des „geistlichen Missbrauchs“ gibt es im christlich-biblischen Sinn eigentlich nicht. Wenn jemand geistlich handelt, das heisst im Sinne des Geistes Gottes, manipuliert und missbraucht er nicht. Geistliches Leben ist gesundheitsfördernd. Eine falsch verstandene Religiosität kann jedoch krankheitsfördernd sein.Interview: Rolf Höneisen

Dies ist eine gekürzte Fassung. Lesen Sie das ausführliche Interview mit vielen weiteren Fragen und Antworten rund um das Thema des Missbrauchs in religiösen Systemen im Wochenmagazin <link http: epaper.idea.de de profiles editions external-link-new-window external link in new>ideaSpektrum Nr. 44-2016.

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