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Gesellschaft

Weltallianz: Christen im Libanon richten den Blick nach vorne

06.08.2020

Beirut (idea) – Nach den Explosionen in der libanesischen Hauptstadt Beirut richten viele Christen trotz der Verzweiflung über das Ausmaß der Schäden den Blick schon wieder nach vorne. Sie kümmern sich um ihre Nachbarn sowie um den Wiederaufbau. Diese Einschätzung äußerte der für die Weltweite Evangelische Allianz (WEA) tätige Menschenrechtsexperte Wissam al-Saliby (Genf) gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea (Wetzlar). Er stammt aus dem Libanon. Durch die Detonation am 4. August starben mindestens 137 Menschen, rund 5.000 wurden wurden verletzt. Schätzungsweise bis zu 300.000 Einwohner sind obdachlos, weil die Druckwelle die Häuser zerstörte. Rund 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat sollen in einer Lagerhalle im Beiruter Hafen explodiert sein. al-Saliby zufolge waren viele Libanesen wegen der Corona-Krise nicht in ihren Büros. Ohne den Lockdown hätte es somit noch mehr Verletzte und Tote gegeben. Ihm zufolge sind unter den Betroffenen sehr viele Christen, da die christlich geprägten Vororte Beiruts in Hafennähe lägen.

Viele Christen helfen

Evangelikale Kirchen und Organisationen haben al-Saliby zufolge bereits begonnen, den Betroffenen zu helfen. Der Geschäftsführer von „Heart for Lebanon“ (Ein Herz für den Libanon), Camille Melki, habe ihm berichtet, dass die Organsiation nun 60 Mitarbeiter nach Beirut geschickt habe, um Häuser und Straßen zu säubern. Der Präsident des Arabischen Baptistischen Theologischen Seminars (ABTS), Elie Haddad, sagte in einem YouTube-Video, dass man in den Studentenunterkünften und in dem Gästehaus des Seminars Menschen eine Bleibe bieten wolle, die durch die Explosion obdachlos geworden sind. Jedes freie Zimmer wolle man dafür nutzen. Der Geschäftsführer der christlichen „Libanesischen Gesellschaft für Bildung und soziale Entwicklung“ (LSESD), Nabil Costa, berichtete in einem YouTube-Video, dass die Organisation trotz der schwierigen Situation und dem Rückschlag auf Gott vertraue. Man richte die Augen auf den Herrn und habe die Hände „am Pflug“. Er bat darum, für die LSESD – ein Dachverband verschiedener baptistischer Einrichtungen im Libanon, zu dem auch ABTS gehört – und deren Arbeit zu beten.

Kirchen beklagen Schäden an ihren Gebäuden

Berichten zufolge sind auch viele Kirchen beschädigt worden. Der Pastor einer evangelikalen Gemeinde, Marwan Aboul-Zelof, etwa zeigte in einem kurzen Video auf Twitter das Ausmaß der Zerstörung. Alle Fenster seien zerstört, in einem Aufenthaltsraum seien schwere Deckenplatten gestürzt. Eine Wand im Eingangsbereich zum Café sei heruntergekommen. Es sei schwer, die zerstörte Kirche zu sehen, betont Aboul-Zelof. Er sei aber dankbar, dass sich die Explosionen nicht zu Gottesdienstzeiten am Sonntagmorgen ereigneten, denn dann hätte es in der Kirche viele Opfer gegeben. Die Gemeinde überlege nun, wie man den Nachbarn und in der Stadt helfen könne.

Schäden an der Theologischen Hochschule sind schlimmer als während des Krieges

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN/Darmstadt) stellte 15.000 Euro Soforthilfe für die Theologische Hochschule „Near East School of Theology“ (NEST) in Beirut bereit und bat ferner um Spenden für diese Einrichtung. Seit 19 Jahren lasse die EKHN dort auch eigene Pfarrer im interreligiösen und interkulturellen Dialog ausbilden. Der Präsident der Hochschule, George Sabra, teilte der EKHN mit, dass sich nur wenige Menschen im Gebäude befunden hätten und niemand verletzt worden sei. Der Schaden am Gebäude sei aber beträchtlich. Alle acht Stockwerke und zwei Untergeschosse wurden getroffen. Glasfenster, Glastüren, Glaspaneele sowie viele Holztüren wurden zertrümmert. Selbst während der schlimmsten Tage des 15-jährigen Krieges im Libanon (1975–1990) sei die Hochschule nicht so schwer getroffen worden, so Sabra. Neben der EKHN sagte auch die katholische Kirche in Deutschland Unterstützung zu: Das Erzbistum Köln will 100.000 Euro Soforthilfe geben, das Bistum Limburg und der Diözesan-Caritasverband 50.000 Euro.

Hilfe für Brüder International: Das Land liegt wirtschaftlich „komplett am Boden“

Der für die Region Naher Osten zuständige Projektmanager bei Hilfe für Brüder International, Tobias Haberstroh (Stuttgart), sagte gegenüber idea, dass der anfängliche Schock nach der Explosion mittlerweile der Wut gegenüber der Regierung und dem Missmanagement gewichen sei. Bereits im Herbst 2019 habe es die ersten Demonstrationen gegen die politische Elite gegeben: „Die Politik des Landes ist seit Jahrzehnten durch die konfessionsgebundenen Parteien geprägt. Das hat dazu geführt, dass es immer mehr Korruption, Vettern- und Misswirtschaft im Land gibt und das hat die Menschen auf die Straße getrieben.“ Wirtschaftlich betrachtet liege das Land „komplett am Boden“. Den Zuzug der syrischen Flüchtlinge seit 2012 habe der Staat anfangs gut verkraftet. Der Libanon habe im Vergleich zur Gesamtbevölkerung immer noch die meisten Flüchtlinge weltweit. Es gebe aber Berichte, dass mittlerweile schon schätzungsweise 500.000 Kinder hungrig ins Bett gingen – viele von ihnen Flüchtlinge. Die Situation habe sich verändert: „Im Prinzip wartet jeder nur darauf, dass das Land wirklich kollabiert, dass noch mehr Leute arbeitslos werden, ihre Wohnung verlieren und hungern.“ Es habe viel ausländische Unterstützung in den vergangenen Jahrzehnten gegeben, die aber strukturell nichts verändert habe. Insgesamt leben im Libanon rund zwei Millionen Flüchtlinge.

Getreidespeicher wurden zerstört

Laut der Fachbereichsleiterin in der Johanniter-Auslandshilfe, Anette Müller, wurden bei der Explosion Getreidespeicher zerstört, die für die Grundversorgung der Bevölkerung vorgehalten wurden. Gleichzeitig stiegen durch den zerstörten Hafen die Transportpreise. Da der Libanon 85 Prozent der Güter importiere, sei das eine Katastrophe. Die Johanniter prüften nun Nothilfemaßnahmen über ihre Mitarbeiter und Partner vor Ort.

Hilfswerke stellen Gelder zur Verfügung

Malteser International stellt 100.000 Euro Soforthilfe für die verletzten und obdachlosen Menschen in Beirut zur Verfügung. Ferner seien drei „mobile Kliniken“ – Transporter besetzt mit medizinischem Personal und medizinischem Gerät – aus dem Norden des Libanon in die Hauptstadt verlegt worden. Caritas International stellte ebenfalls 100.000 Euro für die Schwesterorganisation im Libanon bereit. Das Technische Hilfswerk (THW) entsandte 50 Katastrophenhelfer. Die libanesische Regierung erklärte Beirut am 5. August zum Katastrophengebiet. Ferner gilt ein zweiwöchiger Ausnahmezustand. Von den rund sechs Millionen Einwohnern Libanons sind rund 60 Prozent Muslime und 39 Prozent Christen.

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