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Menschenrechte

Wollen Lebensrechtler Freiheitsrechte von Frauen beschneiden?

11.09.2019

Gießen (idea) – Scharfe Kritik an den meist christlichen Lebensrechtlern haben Referenten auf einer kirchlichen Veranstaltung am 10. September in Gießen geübt. Diese „selbst ernannten Lebensschützer“ schützten nicht wirklich das Leben, seien antifeministisch und arbeiteten teilweise mit rechtsextremen Kreisen zusammen, lauteten die Vorwürfe der Redner. Pfarrerin Angelika Maschke (Linden bei Gießen) kritisierte den jährlichen „Marsch für das Leben“ in Berlin, der in diesem Jahr am 21. September stattfindet. Dort gehe es nur vordergründig um das Recht auf Leben. Vielmehr wollten die Teilnehmer Frauen ihre Freiheitsrechte nehmen, den Zugang zu Verhütungsmitteln und zur Abtreibung verwehren sowie Frauenhäuser und Ehescheidung abschaffen. Sie sagte weiter, dass es weltweit 55,7 Millionen Schwangerschaftsabbrüche jährlich gebe. Dieses „Recht“, dass Frauen über eine Schwangerschaft selbst entscheiden können, dürfe ihnen nicht genommen werden. Weil viele Eingriffe nicht sicher seien, kämen bei Abtreibungen jährlich 47.000 Frauen unnötig ums Leben. Sie kritisierte, dass die Bibel bis heute überwiegend aus einer männlichen Sicht ausgelegt werde. Dabei habe sich Jesus Christus selbst an die Seite von Frauen gestellt: „Er hörte ihnen zu, lernte von ihnen, heilte sie, gab ihnen neue Perspektiven.“ Wie sie ferner sagte, könne eine Bibelstelle im 4. Buch Mose (5,19-22) durchaus als Anleitung zur Abtreibung verstanden werden. „Es ist unklar, aber nicht ausgeschlossen.“ Veranstalter war der Frauenausschuss des Evangelischen Dekanats Gießen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.

„Psychoterror“ bei „Gehsteigberatung“

Die frühere Vorsitzende der Beratungsstellen von Pro Familia, die Sozialwissenschaftlerin, Historikerin und Publizistin Gisela Notz (Berlin), kritisierte, dass Anhänger der „Pro Life“ (Für das Leben)-Bewegung oft Abtreibungen mit NS-Verbrechen gleichsetzten. Dass Abtreibungen überhaupt noch im Strafgesetzbuch ständen und nicht abgeschafft seien, sei eine Folge ihres gesellschaftlichen Einflusses, der bis in die Amtskirchen und die Bundespolitik hineinreiche. Nach Einschätzung von Notz wird der Einfluss der Abtreibungsgegner in Europa immer größer: „Sie fordern das vollständige Verbot und die Bestrafung der Abtreibung.“ Ihre Haltung sei antifeministisch. Es gebe großangelegte „Meinungsfeldzüge“, bei denen Frauen, die abgetrieben hätten, als Mörderinnen und Abtreibungskliniken als Tötungszentren bezeichnet würden. Besonders kritisierte sie die „Gehsteigberatung“ vor Beratungszentren und Abtreibungskliniken: „Das ist Psychoterror.“ Frauen werde dabei ein schlechtes Gewissen eingeredet. Notz rief dazu auf, im Gegenzug vor den Beratungsstellen von Lebensrechtsorganisationen wie „Die Birke“ oder „Pro Femina“ etwa in Heidelberg, Berlin und Frankfurt am Main zu demonstrieren. Es sei makaber, dass sie für eine Schwangerschaftskonfliktberatung gar nicht zugelassen seien, aber den Eindruck erweckten, dass ratsuchende Frauen dort dennoch einen schriftlichen Beratungsnachweis erhielten. Den benötigen sie für eine Abtreibung. Notz: „Dann kann es zu spät sein, um die Frist für eine Abtreibung einzuhalten.“

„40 Tage für das Leben“ will Rechte von Minderheiten einschränken

Scharfe Kritik an der Bewegung „40 Tage für das Leben“ übte der freie Journalist Danijel Majic (Frankfurt am Main). Diese 2004 in den USA entstandene Bewegung sei über Kroatien nach Deutschland gekommen. Ihre Aktivisten stammten vor allem aus den 96 kroatisch-katholischen Gemeinden in Deutschland. Seit 2016 sei die Bewegung in Deutschland aktiv und habe bereits in München, Frankfurt am Main, Wiesbaden und Pforzheim Mahnwachen organisiert. In Kroatien unterstütze die Bewegung offen die rechtsextreme Partei HCSP (Kroatische Reine Rechtspartei). Sie kooperiere ferner mit der Internetplattform „narod.hr“, mit der kroatischen Bewegung „Im Namen der Familie“ und mit dem internationalen Netzwerk „Agenda Europa“. Dabei gehe es nicht nur um das Verbot von Abtreibungen. Vielmehr wollten sie die „natürliche Ordnung“ wiederherstellen. Dazu gehöre es, die Rechte von Minderheiten zu beschneiden und die Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften mit der Ehe rückgängig zu machen. Zudem wollten sie die staatliche Förderung für LGBT-Initiativen (Lesben, Gender, Bi- und Transsexuelle) beenden sowie pharmazeutische Verhütungsmittel, die Pränataldiagnostik und künstliche Befruchtungen verbieten lassen. Majic: „Das alles ist hochgradig frauenfeindlich und rassistisch.“

Abtreibung „kommt wie ein Bumerang“ zurück

In der Aussprache kritisierte eine Besucherin, dass in den Vorträgen die Folgen einer Abtreibung für die betroffene Frau nicht thematisiert worden sei. Sie habe vor 44 Jahren ein Kind abgetrieben. Heute komme diese Entscheidung „wie ein Bumerang auf mich zurück“. Nach ihren Worten darf man deshalb nicht allein das „Recht“ auf Freiheit und Abtreibung anmahnen, sondern müsse auch die Konsequenzen thematisieren. Die Moderatorin der Veranstaltung, Elisabeth Faber (Langgöns bei Gießen), räumte ein, dass solche Entwicklungen „in der Enkelzeit“ immer wieder vorkämen. Sie habe selbst auch solche Frauen kennengelernt, sagte die ehemalige Frauenbeauftragte des Landkreises Gießen, die von 1985 bis 1997 Mitglied im Präsidium der EKD-Synode war. Nach ihren Worten ist eine Entscheidung für eine Abtreibung für keine Frau leicht. Zugleich sei es Aufgabe der Gesellschaft, diesen Frauen zu helfen, unabhängig davon, ob sie sich für oder gegen eine Abtreibung entschieden hätten. Eine andere Frau kritisierte, dass die gesamte Veranstaltung „ungemein einseitig“ sei. Wer für den Lebensschutz sei, werde als böse dargestellt. Darauf erwiderte Majic, dass er nicht alle Teilnehmer an Mahnwachen für schlechte Menschen halte. Doch die Veranstalter und ihre Forderungen machten ihm Angst. Sie wollten die gesellschaftlichen Fortschritte der vergangenen Jahre rückgängig machen und die Sexualität der Frau kontrollieren: „Das ist ein Kern rechten Denkens.“

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