- ANZEIGE -
E-Paper Abo Anmelden
Ressorts
icon-logo

Gesellschaft

"Wir feuern unseren Sohn an!"

21.03.2018

Monika und Stefan Weber mit Gion und Kellan: "Wir machen keinen Unterschied." Foto: zvg
Monika und Stefan Weber mit Gion und Kellan: "Wir machen keinen Unterschied." Foto: zvg

"Neulich sagte eine uns nahestehende Person, dass ein Kind mit Trisomie21 für sie nie in Frage käme. Niemals. Das war, als ob sie mir mit der Faust ins Gesicht geschlagen hätte." Ich war wütend, enttäuscht, traurig und nach einigen Kontrasätzen nur noch sprachlos. Dann liefen die Tränen.Es ist nicht die erste Begegnung dieser Art und wird wohl auch nicht die letzte sein. Ich weiss, dass über 95 Prozent der Bevölkerung so denken. Doch - wie konnte das jemand sagen, der uns kennt, der unseren wunderbaren Sohn erlebt und mit eigenen Augen sieht, wie gut es ihm geht, welche Freude er bringt und wie grossartig er das Leben meistert?Trisomie 21, Down Syndrom, wir sagen kurz T21.Wir wussten die ganze Schwangerschaft über nichts. Jeder einzelne Ultraschall bezeugte, dass alles bestens, das Kind gesund und putzmunter war. Tests wollten wir keine machen, sie würden nichts ändern. Nach der Geburt kam der Oberarzt, gratulierte uns zu unserem gesunden Sohn und ging wieder. Erst nach ein paar Tagen äusserte ein Arzt den Verdacht, der sich mittels Test schnell bestätigte. Unser Sohn hat Trisomie21. Dies änderte alles und doch nichts.Wir hatten schon 42 Wochen Zeit gehabt, unseren Sohn kennenzulernen und wussten, wer er ist. Keine Diagnose würde daran etwas ändern. Nicht eine Sekunde empfanden wir Ablehnung für unser Kind, nichts hätte unsere Liebe mindern können. Es änderte nichts: Er ist ein grosses Geschenk und ein Segen für uns.Und doch änderte sich alles. Die Ärzte redeten auf uns ein. Sie malten uns aus, wie schlimm es werden könne und schilderten uns vor allem, was unser Kind nie sein würde, was der Junge alles nie können werde und "...ach ja, gerade letzte Woche habe ich so eines wegmachen müssen...". In diesen Momenten war mir, als wäre ich in einem falschen Film gefangen. Weggemacht? Vor ein paar Tagen? Mir wurde schwindlig.Wie sich zeigte, waren wir wohl die einzigen Menschen auf der ganzen Welt, die niemanden mit T21 in ihrem persönlichen Umfeld kannten. Plötzlich redeten alle davon, wer wen wo kennt und wer was darüber weiss. Mein Mann und ich wurden dankbar, dass wir bis zu diesem Zeitpunkt niemanden kannten! Denn wir hatten keine Schublade, wo wir Kellan reinstecken konnten. Es gab keinen Moment wo wir ihn Vorurteilen betrachteten oder ihm gesagt hätten, was er alles nicht kann. Nein, wir feuern ihn an, so wie wir aus auch mit seinem Bruder und allen anderen Kindern machen. Da gibt es keinen Unterschied! Wir ermutigen sie, etwas zu wagen und sagen Kellan täglich, dass ihm nichts unmöglich sei.Bereits nach wenigen Wochen staunte eine Fachperson und meinte: "Das dürfte er gar nicht können!" Immer wieder begegnen wir Ärzten und Fachkundigen, die auf dem Bildschirm eine Diagnose lesen und sofort urteilen. Wir kämpfen dafür, dass Menschen nicht die Diagnose, sondern das Kind sehen.Als wir in unser Abenteuer gestartet sind, haben wir - gut dosiert - immer wieder mal etwas über T21 gelesen. Ja, wir hatten vorher wirklich keine Ahnung. Wir waren zuvor auch noch nie herausgefordert worden, uns darüber Gedanken zu machen. Was ich alles gelesen habe, erschreckte mich. Über 95 Prozent der Schwangerschaften, bei denen T21 vermutet wird, werden abgebrochen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist bis kurz vor der Geburt möglich. Das Kind wird getötet. Fast niemand weiss, dass immer wieder mal nach der Totgeburt dann festgestellt wird, dass das Kind kerngesund war. Es soll sogar Ärzte geben, die sich dafür einsetzen, dass Eltern, die im Voraus nichts von ihrem besonderen Kind gewusst haben, sich noch einige Tage nach der Geburt gegen das Kind entscheiden dürfen. Nein, nicht um es zur Adoption freizugeben, sondern um sein Leben zu beenden. Es gibt Länder, die sich damit brüsten, dass "Problem T21" zu 100 Prozent beseitigt zu haben.Es ist erst noch gar nicht so lange her, als wir in der Schule im Geschichtsunterricht den Zweiten Weltkrieg betrachteten. Lektion um Lektion. Ich konnte mit der Grausamkeit und der Ungerechtigkeit dieses Krieges fast nicht umgehen. Machthaber entschieden, ganze Volksgruppen zu vernichten. Glaube, politische Einstellung, sexuelle Orientierung, Behinderung und anderes mehr waren Grund genug, um ein Leben als nicht lebenswert zu bezeichnen und zu beenden. Wir sassen im Unterricht und konnten es nicht mehr ertragen. Wir zweifelten an der Menschheit und waren dankbar, dass es heute anders ist.Ist es das? Ist es wirklich anders? Viele der, ach so fortschrittlichen, Länder führen Chromosomen-Tests durch. Diese führen dazu, dass eine gesamte Volksgruppe beinahe ganz vernichtet wird. 95 Prozent! Grund ist ein zusätzliches Chromosom.Ich wünschte, diese Zeilen könnten die Welt verändern. Ich weiss, dass sie es nicht tun. Aber vielleicht retten sie irgendwann irgendwo ein Leben. An dieser Hoffnung halte ich fest. Der Anfang zur Veränderung liegt bei jedem Einzelnen. Wir müssen ein entschiedenes JA zum Leben finden.Was ist, wenn das Kind zwar ohne Extra-Chromosom zur Welt kommt, aber eines Tages verunfallt und schwer behindert ist? Ist es dann weniger wert? Was, wenn der Ehepartner verunglückt und lebenslänglich auf Hilfe angewiesen ist? Ist er dann nicht mehr liebenswert?Wir haben keine Garantie, dass im Leben alles so kommt, wie wir es für gut befinden. Es ist auch nicht so, dass jede Entscheidung in unserer Hand liegt. Wir tun gut daran, uns mit den Grundgedanken über das Leben auseinander zu setzen und uns zu fragen: Habe ich ein tiefes JA zum Leben?Die Autorin Mona Weber-Beeli (33) ist verheiratet mit Stefan (34). Sie leben zusammen mit ihren Kindern Gion (7) und Kellan (4) in Winterthur und arbeiten in Teilzeit als Kaufmann, respektive Kauffrau.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

IDEA liefert Ihnen aktuelle Informationen und Meinungen aus der christlichen Welt. Mit einer Spende unterstützen Sie unsere Redakteure und unabhängigen Journalismus. Vielen Dank. 

Jetzt spenden.