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Kolumne

Was denn nun? Halb leer oder halb voll?

06.05.2022

Tamara Boppart
Tamara Boppart

Ich dachte lange, ich sei eine Optimistin, bis ich mit dem Erwachsen- und Älterwerden begriff, dass mehr Pessimismus in mir steckt, als mir lieb ist. Oder dass der Optimismus, den ich zu besitzen glaubte, nur ein Privileg meiner Jugend in den Neunziger- und Nullerjahren war. Eigentlich würde ich noch heute lieber zu den Menschen gehören, die auf dem Sonnenplaneten leben und für die das Glas immer halb voll ist. Nun bin ich aber leider keine Frohnatur. Hoffnung riecht in meiner Nase schnell billig. Das Gute zu sehen, tönt in meinen Ohren schnell ignorant. Wunderglaube fühlt sich in meiner Hand schnell nach einer Abkürzung an. Ich habe dem Ansatz mit dem halb vollen Glas lange Verdrängung und Verkürzung vorgeworfen. Ich denke fast, ich habe das Bild erst in den letzten Wochen so richtig verstanden. Oder: Ich habe mich damit versöhnt. Das Glas halb voll zu sehen heisst nicht, sich des leeren Teils nicht bewusst zu sein. Ich kann das abgrundtief Ungerechte und bis zum Himmel Stinkende im Blick haben und doch ein halb volles Glas sehen. Schmerz aushalten, aber das Schöne betonen. Das, was Leben hervorbringt. Das, was durch den kleinen Riss noch immer vom Himmel zu sehen ist. Hoffnung ist die edelste Form, seinen Trotz auszudrücken. Und trotzen – das kann ich. Davon erzählte mein Vater schon vor Jahrzehnten, als er als Laie von der Chrischonakanzel herunter in seiner Geschichte von Rumpelstilzchen erzählte und damit mich meinte. Das war mir damals furchtbar peinlich. Heute ist es das nicht mehr. Wenn Trotz ein haariges ABER oder ein rotziges DENNOCH bedeutet, stampfe ich mit Überzeugung auf den Boden. In diesem Sinne hoffe und glaube ich weiter.

Tamara Boppart arbeitet bei Campus für Christus Schweiz und wohnt mit ihrer sechsköpfigen Familie in Wil/ZH.

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