Osterengel

Wir wollen zur Beerdigung unserer Tante fahren. Dazu holen wir Bruder und Schwägerin ab und fahren auf der Autobahn Richtung Toggenburg. Eine Weile später rumpelt es. Haben wir ein Hindernis überfahren? Es rumpelt nochmals und das Display zeigt einen Reifenschaden an. Mein Mann fährt zur nächsten Tankstelle. Der vordere Reifen links hat nicht nur Luft verloren, er ist platt! Beim Versuch, ihn aufzupumpen, zeigt sich: Keine Chance, die Luft zischt daneben. Was nun? Ein älterer Mann spritzt seinen Wagen ab, Kennzeichen St. Gallen. Vielleicht fährt er in unsere Richtung und setzt uns bei einer Bahnstation ab? Ich spreche ihn an, erkläre, dass wir zu viert unterwegs sind zu einer Beerdigung und nun eine Panne haben. Ob er vielleicht Richtung Wattwil fahre? „Das ist hinter dem Ricken, nicht wahr?“ Ich bestätige und er meint: „Ich mache hier noch fertig, dann bringe ich euch hin.“ – „Wir könnten beim nächsten Bahnhof …“ – „Nein, nein, ich bringe euch hin.“ Er fährt uns direkt vor die Kirche, es ist Viertel vor zwei, in ein paar Minuten treffen sich die Trauergäste auf dem Friedhof. „Ganz herzlichen Dank! Wir geben Ihnen gerne etwas für Ihre Spesen“, sage ich und reiche ihm eine Banknote. „Nein, ich will nichts!“, wehrt er ab. „Doch, sicher, wir sind so dankbar für diesen Dienst!“, versuche ich es nochmals. „Sie sind ein Engel für uns! Wie wären wir sonst rechtzeitig hier angekommen!“ – „Meine Frau würde sagen, der Herrgott hat mich geschickt“, lächelt der Mann. „Das hat er! Sie sind ein Osterengel für uns, vielen, vielen Dank und vergälts Gott!“ Unsere Tante hat ihr Ziel erreicht, sie ist bei ihrem Schöpfer. Wir haben ein Liebeszeichen von ihm erhalten, einen freundlichen, hilfsbereiten Menschen, der aus unserer Panne ein Wunder werden liess.

Mirjam Fisch-Köhler ist freie Journalistin und Referentin.