- ANZEIGE -
E-Paper Abo Anmelden
Ressorts
icon-logo

Frei-/Kirchen

Ökumene und die evangelische Allianz

30.04.2021

Online zelebriert: 20 Jahre Charta Oecumenica. Foto:zvg
Online zelebriert: 20 Jahre Charta Oecumenica. Foto:zvg

(IDEA) - Die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Schweiz AGCK.CH jubiliert dieses Jahr gleich zweimal. Sie wird am 21. Juni 50-jährig und sie feierte am 22. April das 20-jährige Bestehen ihres grundlegenden Dokumentes, der Charta Oecumenica. Die Schweizerische Evangelische Allianz SEA strebt die Vollmitgliedschaft in der AGCK.CH an. Worum geht es in der wenig bekannten Charta Oecumenica?

Die Charta Oecumenica ist kein Eigengewächs der AGCK.CH. Sie war von dem Präsidenten der Konferenz Europäischer Kirchen KEK, Metropolit Jéremie, und Kardinal Vlk, Präsi- dent des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen CCEE, am 22. April 2001 in Strassburg unterschrieben worden. Die beiden empfahlen die Charta „als Basistext allen Kirchen und Bischofskonferenzen von Europa zur Annahme und Umsetzung in ihrem jeweiligen Kontext“. Vorausgegangen war ein mehrjähriger konsultativer Prozess. Die Charta wurde vor allem in Westeuropa umgesetzt. Die Mitgliedskirchen der Schweizer AGCK haben sie am 3. Januar 2005 unterschrieben. Zur AGCK.CH gehören nebst den drei Landeskirchen und orthodoxen Kirchen unter anderem auch die Heilsarmee, die Evangelisch-methodistische Kirche sowie der Bund Schweizer Baptistengemeinden.

Was will die Charta?

Die ursprünglichen Unterzeichner haben die Charta Oecumenica als „gemeinsame Verpflichtung zum Dialog und zur Zusammenarbeit“ eingeführt. Sie beschreibt grundlegende ökumenische Aufgaben und leitet daraus eine Reihe von Leitlinien und Verpflichtungen ab. So soll sie „auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens eine ökumenische Kultur des Dialogs und der Zusammenarbeit fördern und dafür einen verbindlichen Massstab schaffen“. Die Charta hat keinen lehramtlich-dogmatischen oder kirchenrechtlich-gesetzlichen Charakter. Die Verbindlichkeit besteht in der Selbstverpflichtung der europäischen Kirchen und ökumenischen Organisationen. Diese können für ihren Bereich auf der Grundlage der Charta eigene Zusätze und gemeinsame Perspektiven formulieren im Zusammenhang mit ihren individuellen Herausforderungen und Verpflichtungen.

Glaube, Gemeinschaft, Verantwortung

Die Charta befasst sich mit dem gemeinsamen Glauben, dem „Weg zur sichtbaren Gemeinschaft der Kirchen in Europa“ und der gemeinsamen Verantwortung in Europa. Insgesamt 25 Statements sind mit je zwei bis drei Verpflichtungen versehen. „Noch verhindern wesentliche Unterschiede im Glauben die sichtbare Einheit“, heisst es im ersten Statement. „Es gibt verschiedene Auffassungen, vor allem von der Kirche und ihrer Einheit, von den Sakramenten und den Ämtern. Damit dürfen wir uns nicht abfinden.“ Die Unterzeichner der Charta und damit die AGCK.CH-Mitglieder verpflichten sich, sich „beharrlich um ein gemeinsames Verständnis der Heilsbotschaft Christi im Evangelium zu bemühen“. Zum Dialog gebe es keine Alternative. „Ohne Einheit im Glauben gibt es keine volle Kirchengemeinschaft.“

Konkrete Ziele sind die gegenseitig anerkannte Taufe und die eucharistische Gemeinschaft sowie gemeinsames Zeugnis und gemeinsamer Dienst. Die Mitglieder verpflichten sich, über ihre Initiativen zur Evangelisierung mit den anderen Kirchen zu sprechen, darüber Vereinbarungen zu treffen „und so schädliche Konkurrenz sowie die Gefahr neuer Spaltungen zu vermeiden“. Auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit jedes Menschen und die Rechte von Minderheiten werden betont sowie das Vermeiden finanzieller Anreize zur Konversion. Eine Verpflichtung spricht davon, „ökumenische Offenheit und Zusammenarbeit in der christlichen Erziehung, in der theologischen Aus- und Fortbildung sowie auch in der Forschung zu fördern“.

Weiter geht es darum, Tendenzen zu Nationalismus, Antisemitismus und Antijudaismus entgegenzutreten, „den Dialog mit unseren jüdischen Geschwistern zu suchen und zu intensivieren“, die Stellung und Gleichberechtigung der Frauen in allen Lebensbereichen zu stärken sowie den Einsatz zur Bewahrung der Schöpfung zu fördern. Beim Verhältnis zu Muslimen heisst es: „Insbesondere empfehlen wir, miteinander über den Glauben an den einen Gott zu sprechen und das Verständnis der Menschenrechte zu klären.“ Zur grundsätzlichen Begegnung mit anderen Religionen und Weltanschauungen regt die Charta an, zu unterscheiden, mit welchen Gemeinschaften Dialoge und Begegnungen gesucht werden sollen und vor welchen aus christlicher Sicht zu warnen sei. Die Unterzeichner verpflichten sich „für das Gespräch mit allen Menschen guten Willens offen zu sein, gemeinsame Anliegen mit ihnen zu verfolgen und ihnen den christlichen Glauben zu bezeugen“.

SEA, AGCK.CH und Rom

Seit 2018 hat der Verband Freikirchen.ch Gaststatus bei der AGCK.CH, seit dem 4. November 2020 auch die SEA. Die SEA kommunizierte gleichentags, dass sie wünsche, in naher Zukunft Vollmitglied der AGCK.CH zu werden. Ein solcher Beitritt würde laut Andi Bachmann-Roth, Co-Generalsekretär der SEA, nur diese selbst betreffen, bliebe aber für ihre Mitgliedskirchen und -werke ohne Bedeutung.

Der Wunsch der SEA löste eine heftige Reaktion in der Zeitschrift „Das Signal“ des Schweizerischen Bunds Aktiver Protestanten CHBAP aus. Christian Wider warf der SEA da vor, sie plane eine nähere Anbindung an die Kirche Roms. Mit einer Unterschrift unter die Charta Oecumenica käme die SEA nicht darum herum, sich der römisch-katholischen Kirche anzugleichen, weil diese nicht von ihren Standpunkten abweichen werde.

In der Schweiz ist die römisch-katholische Bischofskonferenz im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern Vollmitglied der AGCK. Die Bischofskonferenz antwortete aber nicht innert nützlicher Frist auf Fragen von IDEA zu ihrem Selbstverständnis innerhalb der Arbeitsgemeinschaft.

Der Vorstand der SEA hat noch nicht entschieden, ob er die Charta unterschreiben wird. Die SEA sieht gemäss Andi Bachmann-Roth in ihr aber auch kein Dokument, das von einer Konfession zu ihren Gunsten instrumentalisiert werde. Dass die Charta sich zur „einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche“ bekenne und katholische Lehrtexte die gleiche Formulierung auf die römisch-katholische Kirche beziehen, schliesse nicht aus, dass Christen verschiedener Konfessionen diese Formulierung im Sinne des altkirchlichen Bekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel auf die allgemeine Gesamtheit der Kirche beziehen.

Abendmahl und Eucharistie

Ein weiterer traditioneller Knackpunkt in den Beziehungen zwischen Konfessionen ist die teilweise fehlende Abendmahlsgemeinschaft. „Dass Christen nicht gemeinsam am Tisch des Herrn sitzen können, ist ein bleibender Schmerz und ein sichtbares Zeichen der Trennung der Christen“, sagt Andi Bachmann-Roth. Die SEA teile den Wunsch, dass das Miteinander der Christen auch im Teilen des Brotes und des Kelches Ausdruck finde. Man wolle die bestehenden Differenzen zum Abendmahl nicht als unüberwindbar verstehen, sondern heute schon nach Ausdrucksformen suchen, welche die Einheit des Leibes Christi sichtbar machten. SEA-Generalsekretär Bachmann-Roth: „Wir sehen in der Charta nirgends eine Forderung, uns dem Eucharistieverständnis einer bestimmten Konfession anzugleichen.“ Er verweist auf ein Arbeitspapier von 2017 zum Verhältnis der SEA zur römisch-katholischen Kirche. Dort steht: „Das Abendmahl und die Eucharistie werden in der Praxis sehr unterschiedlich bewertet. Eine gegenseitige Teilnahme wird der Einschätzung und dem Gewissen des Einzelnen überlassen.“ Das sieht die römische Glaubenskongregation freilich anders. Sie schloss nämlich noch im Herbst 2020 eine wechselseitige Teilnahme von Evangelischen an der Eucharistie und umgekehrt kategorisch aus.

Glauben Christen und Muslime an den gleichen Gott?

Christian Wider kritisierte im „Signal“ auch, die Charta Oecumenica gehe davon aus, dass Christen und Muslime zum gleichen Gott beteten. Während die Charta empfiehlt, mit Muslimen „über den Glauben an den einen Gott zu sprechen“, wurde am Zweiten Vatikanischen Konzil festgehalten, dass Muslime „den alleinigen Gott anbeten“. Wider sieht in der Charta dieses katholische Verständnis. Marc Jost, der andere Co-Generalsekretär der SEA, bekräftigte gegenüber IDEA, was er schon Wider antwortete: Es gehe nur darum, dass Judentum und Islam wie das Christentum monotheistische Religionen seien und dass dies eine gute Grundlage für das gemeinsame Gespräch über den Glauben biete. Tatsächlich kann der Satz in der Charta im Sinne Josts wie auch im Sinne des Vatikanums verstanden werden. Christoph Knoch sprach am Charta-Jubiläumsanlass im Namen der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz EKS über diesen Satz. Knoch sagte, die reformierte Kirche sei durch diesen Satz aufgefordert, ihr Verständnis von Gottesoffenbarung und Ökumene weiter zu fassen.

Was will die SEA?

Worin sieht die SEA ihren Beitrag in der AGCK.CH? Andi Bachmann-Roth: „Mit unserem Gaststatus bei der AGCK intensivieren wir die Beziehungsebene. Wir nähern uns Menschen aus anderen Konfessionen an, übernehmen damit aber nicht ihre theologischen Positionen.“ Andere müssten sich für den Dialog auch nicht der SEA angleichen. Aus dem Gesamtkontext der Charta werde deutlich, dass keine der am Dialog beteiligten Kirchen oder Institutionen die Deutungshoheit für sich beanspruche. Im Rahmen der AGCK begegneten sich Kirchen und Institutionen unterschiedlicher Konfessionen zum Gespräch, um die Einheit zu fördern. Insbesondere um zu besprechen, wie man gemeinsam das Evangelium verkünden und gemeinsam handeln könne. Gerne bringe sich die SEA in diesen Dialog mit ein.
(Autor: David Gysel)

 

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

IDEA liefert Ihnen aktuelle Informationen und Meinungen aus der christlichen Welt. Mit einer Spende unterstützen Sie unsere Redakteure und unabhängigen Journalismus. Vielen Dank. 

Jetzt spenden.