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Glaube

Kampf der Identitäten

27.03.2022

Autor David Bennett. Fotos: Fontis
Autor David Bennett. Fotos: Fontis

(IDEA) - In „Liebe.Total.“ beschreibt der Australier David Bennett seine unerwartete Reise vom Schwulenaktivist und Religionsskeptiker zum Jesusnachfolger. Ein Buchauszug:

Mehr denn je kämpfte ich mit meinen beiden Identitäten. Ich wusste, dass manche Aspekte meiner schwulen Identität nicht mehr zu der neuen Person passten, die ich in Christus geworden war. Dieser Konflikt war anstrengend.

Ich stand vor zwei entgegengesetzten Versuchungen: Die eine war, zu versuchen, mich an die Gemeinde anzupassen, indem ich mein wirkliches Leben und meine Vorgeschichte verheimlichte; die andere war, alles auf meine schwule Identität zu beziehen und den Ruf zur Nachfolge Jesu zu ignorieren. Ich wollte von Christen akzeptiert werden und der Ethik der Bibel folgen, aber ich fühlte mich von Gott auch zu Authentizität berufen. Die Nachfolge Jesu muss mich zur Ehrlichkeit führen, dachte ich, sonst ist es nicht Jesus, dem ich nachfolge. Dass der Christus, den ich in meiner Vision gesehen hatte, es gutheissen würde, wenn ich mich versteckte, konnte ich mir nicht vorstellen. Sein Licht und seine Kraft waren so viel grösser als alle derartigen gedanklichen und kulturellen Spielchen.

Ich war Christ. Und ich war homosexuell. Was hatte das zu bedeuten? Es fühlte sich an wie zwei unvereinbare Identitäten, die miteinander im Widerstreit lagen. Aber war das wirklich so?

Während meiner Schulzeit war mir das Christentum vorgekommen wie ein System aus Vorschriften, Lehren, einengenden Begrenzungen und sozialen Konventionen, geschaffen, um sich einem Gott anzubiedern, der Vollkommenheit forderte, aber es niemals über sich brachte, zu sagen: „Das ist gut genug.“ Inzwischen wusste ich, dass ich mir den Weg zu Gott nicht erarbeiten konnte, aber was bedeutete es denn, ihm zu gehorchen, ihn mit meinem ganzen Sein aus ganzem Herzen zu lieben? Er hatte mich gerettet, und ich wollte ein Leben führen, das ihm gefiel.

Beim Lesen der Bibel, besonders der Paulusbriefe, wurde mir klar, dass Regeln mich nicht mit Gott ins Reine bringen konnten. Deshalb war Jesus Christus ja gekommen, um mich zu retten. Wenn ich aus eigener Kraft vollkommen werden konnte, wozu hätte ich dann überhaupt nötig gehabt, von ihm gerettet zu werden? Er war voller Gnade, teilte sie grosszügig an alle aus, die umkehrten, erfüllte sie mit dem Heiligen Geist und versöhnte sie mit dem Vater.

Ich erfuhr noch andere Dinge, die mich überraschten: Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass das Evangelium gerade gegen viele der sozialen Beschränkungen oder Regeln seines antiken Umfeldes stand, die damals von gesellschaftlichen Gruppen dazu benutzt wurden, sich gegenseitig zu verdammen. Wenn das stimmte, was bedeutete das dann? War womöglich das Evangelium, das ich einst für meinen schlimmsten Feind gehalten hatte, in Wirklichkeit ein unverhoffter Verbündeter dabei, Verurteilung und Hass zu überwinden?

Das Neue Testament hielt zwar daran fest, dass das Gesetz vollkommen war, aber es lehrte auch, dass dieses Gesetz niemals echte Rechtschaffenheit in uns hervorbringen konnte. Bestenfalls malte es uns Gottes Vollkommenheit vor Augen. Im schlimmsten Fall verwandelte es uns in religiöse Heuchler und „weiss getünchte Gräber“. Mein Verlangen danach, mich der Liebe Gottes würdig zu erweisen, stand in Wirklichkeit seiner Gnade in meinem Leben entgegen. Aber wie konnte ich mit meiner Sexualität meinen Weg durch dieses Evangelium der Gnade finden? Die Frage ging mir nach, und das nicht nur als eine abwegige theologische Spitzfindigkeit. Es ging dabei um mein Leben.

Eines Tages sass ich auf meinem Bett, hörte mir eine Predigt über Freiheit eines Melbourner Pastors an und stöberte dabei in den Briefen an die Galater und die Römer. „In Christus sind wir jetzt schon für gerecht erklärt, obwohl wir immer sündige Begierden empfinden“, erklärte der Pastor. „Bei der Ausgestaltung unserer christlichen Identität müssen wir den Unterschied zwischen Gehorsam unter dem Gesetz und Gehorsam unter der Gnade verstehen.“ Er zitierte Röm 4,4–5: „Wenn ich eine Arbeit leiste, habe ich Anspruch auf Lohn. Dieser ist kein Geschenk, sondern ich habe ihn mir verdient. Aber bei Gott ist das anders. Bei ihm werde ich nichts erreichen, wenn ich mich auf meine Taten berufe. Nur wenn ich Gott vertraue, der den Gottlosen von seiner Schuld freispricht, kann ich vor ihm bestehen.“

Als ich das hörte, machte es „Klick“. Gutes tun war wunderbar. Aber um eine echte Beziehung herzustellen, war es letztlich nutzlos: „Denn nur durch seine unverdiente Güte seid ihr vom Tod gerettet worden. Das ist geschehen, weil ihr an Jesus Christus glaubt. Es ist ein Geschenk Gottes und nicht euer eigenes Werk. Durch eigene Leistungen kann ein Mensch nichts dazu beitragen. Deshalb kann sich niemand etwas auf seine guten Taten einbilden“ (Epheser 2,8-9). Moment mal, dämmerte es mir. Dann hat ja meine sexuelle Orientierung überhaupt nichts mit meiner Gerechtigkeit vor Gott zu tun! Ich bin von ihm angenommen wegen Jesus Christus, nicht aufgrund meiner moralischen Leistungen. Ich musste mir Gottes Annahme nicht verdienen. Mein sexuelles Verhalten dagegen war, wie bei heterosexuellen Personen auch, eine andere Geschichte. Aber meine Orientierung an sich? Die war kein Hindernis. Sie war einfach nur ein Teil von mir.

Ich fühlte mich, als wäre mir etwas von dem, wer ich war, zurückgegeben worden. Identität und Verhalten trennten sich in meinem Denken voneinander, und ich bekam einen Blick auf eine dritte Option in meinem Leben, von der ich bis zu diesem Moment nichts geahnt hatte.
(Autor: David Bennett)

David Bennett, Liebe. Total. (engl. A War of Loves) Fontis-Verlag, 2021, 320 Seiten, ISBN 9783038482260

Siehe auch das Interview mit Dominik Klenk, dem Verleger des Buches.

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