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Gesellschaft

Ethisches Handeln in Zeiten der Pandemie

18.01.2022

Ruth Baumann-Hölzle: Eine Gesamtperspektive wahrnehmen. Foto: Institut Dialog-Ethik
Ruth Baumann-Hölzle: Eine Gesamtperspektive wahrnehmen. Foto: Institut Dialog-Ethik

(IDEA) - "Die Corona-Krise ist ein Brennglas für systemische Schwachstellen des Gesundheitswesens." Das sagte die erfahrene Medizinethikerin Ruth Baumann-Hölzle am 14. Politlunch in Thun. Sie hat das Institut Dialog-Ethik in Zürich aufgebaut und zu einem respektablen Partner für ethische Fragen im Spitalalltag gemacht. Der Umgang mit der Krise werfe auch ein Schlaglicht auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen, so Baumann-Hölzle.

Die Triage-Diskussion

Angesichts der realistischen Möglichkeit, dass bei einer Überlastung der Intensivbetten in den Spitälern durch Covid-Kranke Entscheide getroffen werden müssen, wer den noch verfügbaren Platz erhalten soll, ist das Interesse gestiegen, nach welchen ethischen Kriterien entschieden werden soll.

Im Blick auf das Gesundheitswesen unterscheidet Baumann-Hölzle drei ethische Dimensionen, die sich auf die Artikel 7 und 10 der Bundesverfassung abstützen: Die Ethik des Normalfalls setzt eine faire Verteilung der Mittel und eine Sicherstellung der notwendigen Ressourcen voraus sowie das Recht auf angemessene Behandlung. Davon unterscheide sich die Ethik des Notfalls: Bei gleichen Behandlungsmöglichkeiten und knappen Ressourcen sind Triage-Entscheidungen zu treffen, wobei im Zweifel für das Leben entschieden wird. In der Corona-Pandemie gilt dagegen die Ethik des geplanten Notfalls. Die Triage Entscheidungen können im Sinne einer gerechten Verteilung der Mittel vorbereitet werden.

Ein öffentliches Gut

Dabei ist zu beachten, dass Gesundheit in der Schweiz ein öffentliches Gut aufgrund des Rechts auf Leben und Freiheit ist. Das bedeutet ein Recht auf angemessene Behandlung, Pflege und Betreuung, unabhängig von Eigenschaften und Fähigkeiten des Patienten. Dabei darf kein Verursacherprinzip bei der Behandlung und Betreuung beachtet werden, soweit die Grundversicherung für die Behandlung aufkommt. Daher dürfe auch der Impfstatus keine Rolle spielen. Selbst der Schwerverbrecher im Gefängnis hat aufgrund dieser Vorgaben das Recht auf angemessene medizinische und therapeutische Leistungen.

Für schwierige Entscheidungen wie die Triage kennen Spitäler einen Entscheidungsweg in sieben Schritten, der verschiedenste Vorgaben berücksichtigen muss, wie zum Beispiel die Gesundheitsdefinition der WHO. Es gibt dabei die Verpflichtung, eine Gesamtperspektive wahrzunehmen und dabei alle Lebensdimensionen zu erfassen. Die Ethikerin verwies dabei auf die Triage-Kriterien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Die interdisziplinär zusammengesetzten Teams sollten dabei wenn immer möglich einen Konsens finden. Auf der andern Seite muss auch der Staat eine Gesamtperspektive entwickeln und alle Lebens­bereiche wahrnehmen, bevor er entscheidet.

Falsches Anreizsystem

Im Blick auf den aktuellen Personal­engpass in der Pflege sieht die Ethikerin die Entwicklung des Gesundheitswesens kritisch. Dieses sei von einem Anreizsystem getrieben, das zu Gewinnmaximierung und Mengenausweitung auf der einen und zu einer Verknappung und impliziten Rationierung auf der andern Seite geführt habe. Konkret zu einer Unterversorgung im Bereich Pflege und Betreuung und bei nicht gewinnbringenden Therapien. Eine Folge davon sei der aktuelle Pflegekräftemangel und fehlende Frühbehandlungen. Der Schweiz fehle aber heute ein Gremium, das diese Entwicklung verfolge und bewerte.
(Autor: Fritz Imhof)
Der Vortrag ist hier als Video zugänglich.

 

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