Die Macht der Haare

Vor einigen Wochen wurde die junge Iranerin Mahsa Amini von der „Sittenpolizei“ festgenommen und für das Vergehen eines falsch sitzenden Kopftuchs bestraft. Später starb sie im Krankenhaus an den Verletzungen, die ihr zugefügt wurden. Dieses Schicksal löste nationale und internationale Proteste aus – besonders Frauen im Iran gehen unter Gefahr ihres Lebens ohne Kopftuch auf die Strasse, schneiden sich öffentlich ihre langen Haare ab, was in diesem Kulturkreis als Zeichen der Trauer gilt, und kämpfen für ihre Freiheit. Nach jahrelanger Unterdrückung durch das Regime ­wehren sie sich endlich und verteidigen ihre Würde mit Mut, Wut und Stolz.

Natürlich lassen sich die aktuellen Entwicklungen nur schwer auf unsere Führungskultur in Westeuropa übertragen, und dennoch versuche ich es. Denn was die Frauenproteste im Iran zeigen, ist auch für uns ein wichtiger Reminder: Leitung ist dazu da, den Menschen zu dienen, anstatt sie kleinzuhalten. Wenn Führungs­persönlichkeiten ihre Macht missbrauchen, dann leiden alle. Leitende müssen stattdessen mit ihrer Verantwortung weise umgehen, Machtmissbrauch jeglicher Form verhindern und eine Kultur schaffen, in der sie es zulassen, auf mögliche Fehler hingewiesen zu werden – von anderen Leitern, aber auch von denjenigen, die sie führen. Wer seinen eigenen Kopf (notfalls mit Gewalt) durchstieren will, obwohl das Team berechtigte Einwände hat, leitet nur aufgrund der eigenen (Macht-)Position – und nicht, weil Menschen ihm vertrauen und gerne folgen. Irgendwann wird der Punkt kommen, an dem sie aufbegehren und gegen die Leitung rebellieren, die aus den falschen Motiven heraus geschieht.

Wenn wir stattdessen unseren Teams vertrauen, ihnen Freiheiten geben, im Konfliktfall gemeinsam einen Konsens finden und eine Vision und ein Ziel verfolgen, dem andere sich anschliessen können, – dann nehmen wir unsere Führungsverantwortung weise wahr.

Elisabeth Schoft ist Marketing- und Presseleiterin beim Fontis-Verlag (Basel) und Buchautorin.