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Interview

Die Macht der Gier

23.06.2021

Der promovierte Hamburger Rechtsanwalt Sascha Böttner ist Fachanwalt für Strafrecht mit Schwerpunkt Wirtschaftsstrafrecht. Foto: privat
Der promovierte Hamburger Rechtsanwalt Sascha Böttner ist Fachanwalt für Strafrecht mit Schwerpunkt Wirtschaftsstrafrecht. Foto: privat

Betrug, Veruntreuung, Steuerhinterziehung. Viele Täter, die solche Wirtschaftsdelikte begehen, sind wohlhabend. Warum brechen sie Gesetze, um noch reicher zu werden? Der promovierte Hamburger Rechtsanwalt Sascha Böttner ist Fachanwalt für Strafrecht mit Schwerpunkt Wirtschaftsstrafrecht. Mit ihm sprach David Wengenroth. Der Text ist zuerst im IDEA SPEZIAL „Führen & Leiten“ erschienen

IDEA: Warum wird jemand, der objektiv gesehen alles hat, zum Wirtschaftsstraftäter?

Böttner: Für die meisten ist Gier das Hauptmotiv. Es gibt auch Ausnahmefälle, in denen es den Tätern eher um den Erfolg als um das Geld als solches geht. So war das zum Beispiel bei der US-Unternehmerin Elizabeth Holmes, die Erfolge bei der Entwicklung von Bluttests vorgetäuscht und damit einen dreistelligen Millionenbetrag an Fördermitteln erschlichen hat. Aber den meisten Wirtschaftsstraftätern geht es schlicht um Geld. Das liegt in gewisser Weise in der Natur der Sache. Die Täter sitzen ja in der Regel in den Führungsetagen von Unternehmen. Dahin kommt man eigentlich nur, wenn einem Geld wichtig ist. Für die meisten Wirtschaftsstraftäter hat es eine regelrecht existenzielle Bedeutung. Sie sehen den Inhalt ihres Lebens darin, es mit Geld und materiellem Besitz zu füllen.

IDEA: Wenn jemand wohlhabend ist, ist ihm das doch schon gelungen.

Böttner: Vordergründig ja, aber die Gier hat eine tiefere Ursache: Diese Menschen spüren, dass ihnen etwas fehlt. Als Christ glaube ich, dass es eine Lücke in ihrem Leben gibt, die tatsächlich nur Gott füllen könnte. Aber da sie das nicht erkennen, versuchen sie die Lücke mit Geld auszufüllen. Und wenn das nicht funktioniert, versuchen sie, die Lücke mit immer mehr Geld zu füllen. Dazu kommt außerdem eine irrationale Existenzangst. Viele Menschen denken, dass sich diese Angst beruhigt, wenn sie irgendwann einmal genug Geld beisammenhaben. Aber wenn es dann objektiv gesehen so weit wäre, setzt stattdessen die Angst ein, alles wieder zu verlieren. Und je mehr man hat, desto mehr kann man verlieren. Also wird auch diese Angst immer größer. Wenn es diesen Menschen dann auf legalem Weg nicht mehr gelingt, die Angst durch immer mehr Geld zu betäuben, versuchen sie es unter bestimmten Umständen eben auf illegalem Weg.

IDEA: Was sind das für Umstände?

Böttner: Eine ganz wichtige Rolle spielt die Gelegenheit. Da hat jemand zum Beispiel Zugriff auf ein Konto, und es gibt in seiner Firma kein Vieraugenprinzip. Und dann kommt eine Situation, in der er anfängt, sich die kriminelle Tat schönzureden. Er sagt sich: Ich mache doch tolle Arbeit und so viele Überstunden – eigentlich steht mir mehr zu, als mein Arbeitgeber mir zahlt. Also greift er irgendwann in die Kasse, dann noch einmal und dann immer häufiger.

IDEA: Haben die Täter dabei kein Unrechtsbewusstsein?

Böttner: Das ist natürlich individuell unterschiedlich. Meistens wissen die Täter schon, dass ihr Verhalten „nicht in Ordnung“ ist, aber viele von ihnen sind Meister der Autosuggestion. Sie verdrängen das Unrechtsbewusstsein. Es gibt auch eine weit verbreitete Doppelmoral. Der Steuerhinterzieher weiß zwar, dass sein Tun illegal ist, aber er sagt sich: Was ich mache, ist längst nicht so schlimm wie das, was der Betrüger tut. Und der Betrüger sagt sich: Was ich mache, ist längst nicht so schlimm wie das, was der Körperverletzer tut, und so weiter. Das ist ein Problem, weil die Menschen letztlich nicht mehr wahrnehmen, dass ihr Verhalten unrecht ist. Man muss leider sagen, dass manchmal auch Rechtsanwälte und Anlageberater eine unrühmliche Rolle spielen.

IDEA: Dabei sollten sie doch gerade verhindern, dass ihre Klienten sich strafbar machen.

Böttner: Was sie aber in der Praxis manchmal eben nicht tun. Die berüchtigten Cum-Ex-Geschäfte waren so ein Fall. Dabei wurden Aktien gezielt verschoben, um mehrfach eine Erstattung der Kapitalertragssteuer zu kassieren. Dieses Modell haben die Rechtsanwälte einer renommierten Wirtschaftskanzlei ihren Klienten empfohlen. Ein berühmter Fall ist auch der des ehemaligen Post-Chefs Klaus Zumwinkel. Er hat eigentlich sein gesamtes Vermögen brav versteuert. Dann wurde ihm geraten, doch eine Stiftung in Liechtenstein zu gründen, nach dem Motto: „Warum zahlen Sie eigentlich Steuern auf ihre Zinseinkünfte? Wir haben hier ein tolles Modell, bei dem packen Sie einen Teil Ihres Vermögens in eine Stiftung und müssen dann keine Steuern mehr auf die Kapitalerträge zahlen.“ Das hat Zumwinkel geglaubt, wohl auch, weil er keine Zeit und keine Lust hatte, sich damit näher zu beschäftigen. Am Ende wäre er dafür fast im Gefängnis gelandet.

IDEA: Wenn Sie als Christ solche Wirtschaftsstraftäter anwaltlich beraten, können Sie ihnen begreiflich machen, wie verhängnisvoll ihre Gier ist?

Böttner: In vielen Fällen schon. Ich lege oft den Finger in die Wunde und weise die Menschen auf christliche Werte und Tugenden hin und darauf, dass ihr ganzes Weltbild auf Sand gebaut ist. Manche konfrontiere ich auch knallhart mit ihrer Sterblichkeit, die sie oft völlig verdrängt haben. Gerade als Rechtsanwalt bin ich in einer Situation, in der diese Menschen mir zuhören und vertrauen. Wenn sie zu mir kommen, stehen sie wegen der Strafverfolgung unter extremem Stress. In dieser Lage sind sie aufgeschlossen für die Erkenntnis, dass ihr Leben erfüllter und entspannter sein kann, wenn sie lernen, mit weniger materiellen Gütern auszukommen.

IDEA: Vielen Dank für das Gespräch.

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