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Kolumne

Apropos „evangelikal“

22.03.2022

Daniel Rehfeld
Daniel Rehfeld

Einen Moment lang habe ich überlegt, ob ich Ihnen die Geschichte erzählen soll. Ich tu’s trotzdem.

Als Teenager habe ich gelernt, akustische Gitarre zu spielen. Ganz normal auf sechs Nylonsaiten, ohne Strom. Jeden Mittwoch reiste ich mit dem Zug in die benachbarte Stadt und besuchte die Musikschule. In der rechten Hand mein Gitarrenkoffer, der nur unwesentlich kleiner als ich selber war, in der linken Hand meine Mappe mit den Noten und dem übrigen Zubehör. Auf der Mappe prangten Aufkleber mit dem Logo christlicher Bands, des „Bundes Evangelikaler Schweizer Jungscharen“ oder der Kampagne „Neues Leben“. Und über all dem klebte ein grosser Fisch. Als ich eines Tages auf dem Heimweg war, setzten sich zwei junge Frauen in mein Abteil und diskutierten über eine Drittperson. Eine Person, die, wie es schien, ganz merkwürdige Ansichten hatte, in irgendeine spezielle Kirche ging und auf ihrem Briefkasten so einen Fisch kleben hatte. Bei der Schilderung des Fisches kam die eine Frau an ihre Grenzen und so hob ich freudestrahlend meine Mappe und fragte: „Meinen Sie den?“ – Im ersten Augenblick herrschte betretendes Schweigen. Dann murmelte die Dame etwas von „Tschuldigung, hab’s nicht böse gemeint.“ Und ich meinte nur: „Macht nichts. Ich kann damit umgehen“, oder so ähnlich.

Mehr als drei Jahrzehnte sind seither vergangen. Aber dieses Erlebnis hat sich mir eingeprägt. Es steht für eine Zeit, in der ich freudig in manches Fettnäpfchen trat, aber ebenso fröhlich meinen Glauben und meine geistliche Heimat bezeugte. In den folgenden Jahren musste ich immer wieder erklären, warum ich eine Freikirche besuche, inwiefern sich evangelikal von evangelisch unterscheidet oder weshalb für mich die Bibel „das Wort Gottes“ und nicht einfach ein poetisches Buch mit positiven Lebensentwürfen ist. Dies brachte mir manchmal Bewunderung, manchmal Empörung ein.

Um ehrlich zu sein, heute bin ich etwas defensiver – oder sagen wir mal diplomatischer – unterwegs. Ich versuche mein Umfeld abzutasten, meine Worte bedacht zu wählen. Das tue ich einerseits, weil mir bewusst ist, dass auch mein theologisches Wissen Stückwerk ist, andererseits, um andere nicht zu verletzen. Was mir auffällt: Ich ecke weniger an, habe aber auch weniger Gespräche über den Glauben. Die Balance zwischen fröhlichem Bekenntnis und dem Benennen der Unterschiede – sie ist eine tägliche Herausforderung.

Daniel Rehfeld, Chefredaktor

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