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Interview

„Ich will das ,C‘ nicht streichen“

24.04.2016

Foto: Andrea Vonlanthen
Foto: Andrea Vonlanthen

Gerhard Pfister, Sie könnten in Ihrer traumhaften Heimat am Ägerisee fischen und rudern gehen. Warum wollen Sie sich das aufreibende Amt eines nationalen CVP-Präsidenten antun?Das Amt ist nicht nur aufreibend. Es hat auch sehr schöne Seiten. Meine berufliche Situation ist so, dass ich es zeitlich einrichten kann. Es reizt mich auch, eine Partei zu führen, die von den Medien nicht sehr viel Kredit bekommt.

Was hat Sie als Mensch und als Politiker geprägt?

Geprägt hat mich die Gegend, in der Sie sich gerade befinden: Oberägeri und der Kanton Zug. Hier, auf dem Hügel über dem Ägerisee, bin ich aufgewachsen. Stark geprägt hat mich auch das Kollegium in Disentis, wo ich sieben Jahre lebte und die Matur gemacht habe. Politisch geprägt hat mich der Kanton Zug. Es gibt hier starke Oppositionsparteien, und man führt heftige Debatten. Aber man geht trotzdem immer wieder aufeinander zu. Der Kanton Zug hat eine besonders gute politische Kultur.

Wie stark hat Sie die katholische Kirche geprägt?

Sehr stark. Ich bin in Disentis bei den Benediktinern in die Schule gegangen, und ich habe an der ehemals katholischen Universität Fribourg studiert. Meine Familie war überzeugt katholisch, ohne frömmlerisch zu sein.

Leiden Sie als Katholik manchmal an Ihrer Kirche?

Das habe ich nie. Ich habe mit dieser Kirche keinerlei negative Erfahrungen gemacht. Ich höre die Kritik an gewissen Exponenten der katholischen Kirche und sehe auch mit Entsetzen das frühere Fehlverhalten einzelner Amtsträger. Das zeigt aber auch, dass es sich um eine Institution von Menschen handelt, und Menschen werden immer fehlerhaft sein. Doch ich bekomme von der katholischen Kirche viel mehr Gutes als das, was ich an ihr zu kritisieren hätte.

Wie nehmen Sie das evangelische Diakonissenhaus und das Ferienzentrum Ländli hier in Oberägeri wahr?

Sehr positiv. Das „Ländli“ ist eine Perle in unserem Tal. Es ist fähig, sich unternehmerisch gut zu positionieren und auch zu erneuern. Die Diakonissengemeinschaft hat sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren auch geöffnet. Das „Ländli“ ist im Tal präsent, und ich hoffe, dass es noch lange vielen Menschen dienen kann.

Die Wähleranteile der CVP sind in den letzten Jahrzehnten laufend bis auf 11 Prozent gesunken. Auch eine Folge des Mitgliederschwunds der katholischen Kirche?

Es ist auch eine Folge davon, dass die katholische Kirche für viele Menschen keine selbstverständliche Klammer mehr ist. Das katholische Milieu war die Klammer für die CVP. Auf der andern Seite gibt es Kantone, in denen die CVP auch einen Aufschwung erlebt. Im Kanton Zug hat die CVP bei den Nationalratswahlen in den letzten zwölf Jahren 20 Prozent Wähleranteile gewonnen. Aber national gesehen hat es die CVP nicht einfach.

Warum verliert die Kirche so stark an Bedeutung?

Sicher eine Folge unserer Wohlstandsgesellschaft. Man begibt sich auch nicht mehr gerne in Institutionen. Das schwindende Interesse an der Kirche muss aber nicht heissen, dass die Menschen weniger gläubig sind. Viele Leute glauben einfach anders. Auch in der Politik bekennen sich heute weniger Leute zu einer Partei. Es ist das Zeichen einer Gesellschaft, die zunehmend individualistischer wird.

Welches ist heute der wesentliche Auftrag der Kirche?

Es ist der Auftrag, den sie immer hatte: Die Kirche soll die christliche Botschaft vermitteln und den Glauben weitertragen.

Das „C“ in Ihrem Parteinamen irritiert auch etliche Ihrer Mitglieder. Was sagen Sie diesen Zweiflern?

Es ist nicht einmal zuerst das „C“, das als Problem gesehen wird. Das „C“ wird von etlichen Leuten noch immer als „K“ für katholisch verstanden. Darum müssen wir das „C“ klar begründen. Das „C“ ist aber auch ein unglaublich hoher Anspruch. Das Christentum ist eigentlich eine Überforderung des Menschen. Wir dürfen jedenfalls nicht meinen, wir seien andern Parteien moralisch überlegen, nur weil wir das „C“ im Namen tragen. Wir werden als christliche Partei manchmal auch etwas härter gemessen als andere Parteien. Letztendlich steht das „C“ für eine Marke, zu der wir uns klar bekennen müssen. Heute wird ja die Werte-Diskussion verstärkt geführt. Die christlichen Werte sind für unser Land zentral. Darum habe ich keineswegs im Sinn, das „C“ aus unserem Parteinamen zu streichen.

Was ist denn so anspruchsvoll am Christentum?

Das Christentum stellt unglaublich hohe ethische Anforderungen an den Menschen. Die Nächstenliebe mag ja noch gehen – aber an der Feindesliebe scheitern wir doch dauernd. Glücklicherweise trägt das Christentum auch das Angebot der Gnade in sich. Christus fordert unglaublich viel von uns, aber er weiss aus eigener Erfahrung, dass der Mensch auch schwach ist. Darum spricht er uns seine Gnade zu.

Wie könnte das „C“ in Ihrer Partei wieder gestärkt werden?

Es wäre falsch, sich einfach besonders religiös auszurichten. Doch wir müssen bei allen Themen zeigen, was eine vom „C“ her abgeleitete Politik ist. Das wird nicht immer gleich gut gelingen. Doch das „C“ muss sich letztlich im Alltag beweisen.

Ist die EVP in Bern weiterhin der optimale Fraktionspartner für Sie?

Noch optimaler wäre es, wenn die EVP etwas grösser wäre! Die EVP steht uns in weltanschaulichen und ethischen Fragen relativ nah. Sie ist ähnlich wertkonservativ wie wir. Im Bereich Wirtschaft aber ist die CVP viel liberaler. Doch wir haben ein grosses Verständnis füreinander, auch dort, wo wir uns anders positionieren.

„Im Namen Gottes des Allmächtigen“ – so beginnt unsere ­Bundesverfassung noch immer. Was heisst das für unser Land?

Das ist die Präambel zu unserer Verfassung. Die Verfassung enthält die Regeln, die wir uns selber geben für das Leben und das Zusammenleben in unserem Land. Die Verfassung ist Menschenwerk. Wir Menschen sind nicht vollkommen. Es ist deshalb richtig und sinnvoll, dass wir vor diesem Menschenwerk einen Passus haben, der auf eine höhere Instanz hinweist. Und er erinnert daran, dass wir dieser Instanz verantwortlich sind.

Was haben wir unsern christlich-abendländischen Wurzeln zu verdanken?

Historisch gesehen sehr viel. Die Wurzel von Europa ist das Griechentum, das Judentum, das Christentum und in unseren Breiten auch die germanische Kultur. Das Christentum ist die Kultur, die uns am meisten geprägt hat – ob wir das wollen oder nicht. Es ist wichtig, dass wir uns dessen bewusst sind. Heute haben wir die Neigung, dass wir diese Geschichte nicht mehr gerne sehen und zum Teil gar nicht mehr kennen, was ich sehr bedauernswert finde. Wir brauchen die Grundierung durch das Christentum nach wie vor.

Was bedeutet Ihnen der Glaube an Gott?

Mein Glaube hat keinen kompensatorischen Ansatz in dem Sinn, dass ich einmal im Jenseits belohnt werde, wenn ich hier auf der Erde viel Gutes tue. Der Glaube an Gott ist das, was mich trägt und ein Kompass in diesem Leben. Der Glaube ist für mich auch eine Entschleunigung, ein Zu-sich-Kommen, ein Besinnen über sich selber.

Was hilft Ihnen die Bibel im politischen Alltag?

Sie ist keine direkte Anleitung für mein politisches Handeln. Das wäre eine fundamentalistische Haltung. Die Bibel ist ein historisch wichtiges Dokument. Sie ist eine Vergegenwärtigung der Geschichte und des Redens von Christus, auch von der Geschichte des jüdischen Volkes. Sie ist ein Referenzbuch für meinen Glauben, der auch in meiner Politik zum Tragen kommen soll.

Welches biblische Wort beeindruckt Sie gerade als Politiker stark?

Spontan denke ich an ein Wort von Christus: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Das zeigt doch, dass auch Jesus nicht gemeint hat, er müsse den Leuten zuerst politische Handlungsanweisungen geben.

Wie geben Sie Gott, „was Gottes ist“?

Ich gehe regelmässig in die Kirche, manchmal auch dann, wenn es keine Messe gibt. In der Kirche lasse ich mich auf Gott ein, hier versenke ich mich in mich selber. In der Messe bin ich mehr oder weniger einverstanden mit dem, was ich in der Predigt höre. Wenn ich nicht einverstanden bin, muss ich halt Argumente finden, um es begründen zu können. Die Kirche und Gott ermöglichen mir Auszeiten in einem sehr positiven Sinn.

Wie pflegen Sie das Gebet im politischen Alltag?

Ich könnte nicht sagen, dass das Gebet im politischen Alltag eine Rolle spielt für mich. Es kann vor oder nach der Politik oder in Momenten des besonderen Rückzugs eine Rolle spielen. Aber ich bete nicht für gute Wahlergebnisse. Ich habe den Eindruck, der Herrgott habe wesentlich Wichtigeres zu tun, als sich um meine kleinen Sorgen zu kümmern.

In welcher Situation beten Sie am ehesten?

Jesus hat ja alles vorgelebt und durchgemacht, was in einer menschlichen Existenz möglich ist. Er hat auch gezeigt, dass man im Leben sehr schwere Sachen tragen muss. In schweren, dunklen Momenten hilft mir das Gebet am meisten. Ich besinne mich auf jemanden zurück, der noch viel Schwereres durchgemacht hat. In diesen Momenten gibt mir das Gebet neue Kraft. Es hilft mir aber auch, nicht wehleidig zu werden.

Was könnten wir von überzeugten Muslimen lernen?

Vom überzeugten Moslem – und nicht vom fanatischen! – können wir lernen, dass es auch im 21. Jahrhundert gut und sinnvoll sein kann, eine religiöse Orientierung zu haben. Die grösste Schwäche des Westens in der Auseinandersetzung mit dem Islam und dem Islamismus ist ja, dass wir selber nicht mehr zu unseren Werten stehen und sie auch nicht mehr kennen. Vielleicht trägt nun die Bedrohung durch den Islam dazu bei, dass wir uns wieder mehr um unsere Werte kümmern und überhaupt wieder eine Wertediskussion führen. Diese Diskussion haben wir seit dem Zusammenbruch des Kommunismus vernachlässigt. Wir haben uns seither zu stark damit beschäftigt, Party zu feiern.

Sie tönen es an: Es gibt eine Bedrohung durch den Islam?

Es gibt eine Bedrohung durch gewisse Fanatiker des Islam, durch Islamisten. Diese Bedrohung ist evident.

Wie helfen wir den Muslimen bei der Integration am meisten?

Indem wir Ihnen zuerst einmal klarmachen, was bei uns gilt. Die aktuelle Diskussion um die an sich banale Geschichte mit dem Händeschütteln an einer Schule im Kanton Basel-Land zeigt, wie wichtig es ist, eine klare Haltung zu entwickeln und dann auch durchzusetzen. Sonst wird es immer schwieriger. Für mich ist es schlichtweg inakzeptabel, dass man in unserem Land unter Berufung auf die Glaubensfreiheit einer Lehrerin den Handschlag verweigert.

Welches ist für Sie der Sinn des Lebens?

Als Mann hat man gerne die lutherische Tendenz, dass man einen Baum gepflanzt und ein Buch geschrieben haben muss, um ein erfülltes Leben zu haben. Man will Spuren hinterlassen. Für mich ist der Sinn des Lebens das, was man daraus macht. Persönlich habe ich in meinem Leben derart viel Grund zur Dankbarkeit, dass es vermessen wäre, vom Leben noch etwas anderes einzufordern. Insofern ist Dankbarkeit der Sinn meines Lebens.

Sie haben 2001 das schreckliche Attentat auf das Zuger Kantonsparlament persönlich miterlebt und überlebt. War das Gottes Bewahrung für Sie?

Es wäre zynisch, das so zu sehen. Das würde ja heissen, dass Gott mich beschützt hat und andere nicht. Ich sah nie einen Grund, warum ich nach diesem Attentat noch lebe und andere gestorben sind. Das weiss nur Gott. Das war pures Glück – oder auch Gnade. Es ist wichtig, dass wir erkennen, wie wenig es braucht, dass das Leben definitiv weg ist. Diese Erfahrung hat mich tief erschüttert und geprägt.(Interview: An

Gerhard Pfister

Jahrgang 1962, verheiratet mit Franziska, kinderlos, wohnhaft in Oberägeri ZG. Matura am Kollegium Disentis, Studium der Germanistik und Philosophie mit Lizenziat in Fribourg, Promotion zum Dr. phil. an der Universität Basel. 1984-2013 Unterricht in Philosophie und Deutsch und ab 1994 auch Direktor und VR-Präsident des Instituts Dr. Pfister AG in Oberägeri (wurde danach eingestellt). Mitglied und Präsident diverser Verwaltungsräte. 1998-2003 Kantonsrat und seit 2003 Nationalrat der CVP. Wird am 23. April als Nachfolger von Christophe Darbellay zum Präsidenten der CVP Schweiz gewählt.

Ratskollegen fragen Gerhard Pfister

idea bat drei überzeugte Christen aus anderen Parteien um eine kritische Frage an den künftigen CVP-Präsidenten Gerhard Pfister.

Hans-Ulrich Bigler, Nationalrat FDP: Welche christlichen Wertvorstellungen möchtest du konkret in die Politik einbringen?

In erster Linie den Wert der Menschenwürde. Jeder Mensch soll die Möglichkeit haben, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Er soll Arbeit und ein anständiges Einkommen haben, und er soll Rahmenbedingungen vorfinden, in denen er ein gutes Leben führen kann.

Philipp Hadorn, Nationalrat SP: Was bedeutet dir das „C“ im Zusammenhang mit Flüchtlingen, der Entwicklungshilfe, der Rüstungsindustrie und im Umgang mit Andersdenkenden und Andersglaubenden?

Ich will mit Andersglaubenden offen und respektvoll umgehen und nicht versuchen, sie von meinem Glauben zu überzeugen. Zur Flüchtlingsfrage: Jeder, der wirklich ein Flüchtling ist und bei uns Schutz sucht, soll ihn auch bekommen. Aber auch: Jeder, der das Schutzrecht nicht verdient, soll korrekt, aber bestimmt zurückgeführt werden. Bei der Entwicklungshilfe muss man jene Länder, die weniger privilegiert sind, so stärken, dass sie sich selber mehr Wohlstand erarbeiten können. Das bemisst sich vor allem an der Effektivität von dem, was man macht. Bei der Rüstungsindustrie gibt es eine ganz schwierige Gratwanderung zwischen der Verantwortung für die zahlreichen betroffenen Arbeitsplätze bei uns und dem Bewusstsein, dass Waffen auch Unheil anrichten können. Diese Gratwanderung kann nur im Einzelfall sorgfältig beurteilt werden.

Erich von Siebenthal, Nationalrat SVP: Ich habe eine Aussage von dir gehört, dass die Schweiz vermehrt verfolgte Christen aufnehmen soll. Ich habe ein Postulat und eine Motion mit dieser Forderung eingereicht. Der Bundesrat lehnt beides ab. Wirst du dich für meine Vorstösse stark machen?

Ganz sicher! Es gibt in gewissen Ländern eine starke Christenverfolgung. Ich weiss von Projekten, mit denen versucht wird, besonders bedrohte Christen in die Schweiz zu holen. Solche Menschen verdienen bei uns einen speziellen Schutz.

Und was wünschen Sie dem neuen CVP-Präsidenten?

Hans-Ulrich Bigler: Ich wünsche Gerhard Pfister viel Erfolg und vor allem auch persönliche Befriedigung in der neuen politischen Herausforderung. Gleichzeitig verbinde ich damit den Wunsch, dass es ihm und seiner Partei gelingen möge, einen massgeb-lichen Beitrag zum bürgerlichen Schulterschluss zu leisten.Philipp Hadorn: Ich wünsche Gerhard Pfister den Mut und den Willen,– seine Positionen und jene seiner Partei am Evangelium zu prüfen und die Chance wahrzunehmen, die Wertvorstellung aus der Bergpredigt in das politische Programm einzuweben– sich von menschenverachtenden und rechtspopulistischen Gruppen und Parteien zu distanzieren– faulen Kompromissen zu widerstehen, die meist zu Lasten Benachteiligter und Hilfesuchender ausfallen– so parteiisch zu sein, dass die Wirtschaft dem Gemeinwohl zu dienen hat und der ganzen Schöpfung Sorge getragen wird – wie es wohl der Gedanke des Schöpfers warErich von Siebenthal: Ich wünsche dir, Gerhard, Gottes Segen, Weisheit und Kraft. Deine Partei möge ein Garant sein für die christlichen Werte. Bleib wie du bist, einfach und bodenständig!

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