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Interview

20 Jahre TV-Fenster zu Gott

05.10.2015

Jürgen Single: „Wir reden nicht über Religion, sondern über persönlichen Glauben.“ Foto: idea/chb
Jürgen Single: „Wir reden nicht über Religion, sondern über persönlichen Glauben.“ Foto: idea/chb

Jürgen Single, vor 20 Jahren erhielt Fenster zum Sonntag die Sendeerlaubnis beim SRF. Wie hatte man auf Ihren Antrag damals reagiert? Dass ein privater Anbieter eine Sende-Konzession für ein religiöses Programm im öffentlich-rechtlichen Fernsehen beantragt – so etwas gab es damals nicht. Auch in keinem anderen Land teilte ein öffentlich-rechtlicher Sender seine Sendezeit mit privaten Anbietern. Mit uns zusammen haben verschiedene Verleger-Programme den gleichen Prozess durchlaufen. Bei uns war natürlich das Spezielle, das Thema Religion. Weniger die Konzessionsbehörden, aber die Öffentlichkeit und die kirchlichen Mediendienste hatten Bedenken. Der Blick titelte gross: „Jetzt droht das Sekten TV“. Es war ein langer Prozess, diese Vorbehalte zu entkräften. Man konnte ja unsere Sendungen auf dem Zürcher Regionalkanal „Rediffusion“ sehen.

Was waren die entscheidenden Kriterien dafür, dass Sie die Konzession schliesslich doch bekamen?

Wir mussten einen kompletten Finanzplan vorlegen und zeigen, dass wir fähig sind, eine solche Sendung über einen längeren Zeitraum zu produzieren. Wir erhielten eine vorläufige Konzession. Parallel wurde eine Expertenkommission eingesetzt, welche die Wünschbarkeit eines christlich-religiösen Fernsehens prüfte. Nach zwei Jahren haben sie festgestellt, dass man die Alphavision als „unbedenklich“ einstufen konnte.

Gab es auch inhaltliche Vorgaben?

Wir dürfen keine religiöse Werbung machen.

Was versteht man unter religiöser Werbung?

Das ist zum Beispiel Verkündigungsfernsehen. Unsere Vision ist es, gelebten Glauben abzubilden. Das Evangelium von Jesus Christus öffentlich zu machen, indem wir ihm eine Stimme geben. Das passiert durch die Geschichten unserer Protagonisten, die wir mit journalistischem Handwerk präsentieren. Wir betreiben keine theologische Exegese und leiten keine Handlungsanweisungen ab, das wäre Verkündigung. Natürlich haben wir eine christliche Ausrichtung, die ist aber in unserem Sendemandat ausdrücklich genehmigt.

Die Personen, die Sie abbilden dürfen, sagen was sie wollen?

Es muss schon theologisch haltbar und auch sonst verantwortbar sein. Wir achten darauf, dass sie sich nicht zu sehr in eine heikle Richtung exponieren.

Gibt es Tabuthemen bei Fenster zum Sonntag?

Beim Thema aktive Sterbehilfe sind wir sehr vorsichtig, weil wir da für uns noch keine endgültige Antwort haben. Es gibt Fälle, bei denen auch die Palliativmedizin nicht weiterhilft. Auch das Thema Homosexualität lassen wir aussen vor. Einmal hatten wir eine Sendung zum Thema „Neuanfang“, in der ein Homosexueller vorkam, der eine Kursänderung vorgenommen hatte. Da hatten wir schon vor zehn Jahren Beschwerden. Das muss nicht sein. Es ist ein Lieblingsthema von vielen Christen, aber nicht die zentrale Botschaft von Jesus Christus.

Die Beschwerden kamen aber nicht von der SRG?

Nein, vom Schweizer Fernsehen haben wir noch nie eine Abmahnung bekommen. Die programmliche Hoheit liegt bei uns. Wir sind nur dem Mediengesetz verantwortlich. Natürlich wollen wir ästhetisch kompatibel mit dem Sender SRF sein. Wir arbeiten mit ihnen zusammen, gehen dort ein und aus. Wir wollen kein Fremdkörper sein. Genauso wie die Botschaft von Jesus keine „Fremdkörperbotschaft“ sein soll.

Passt der „neutral journalistische“ Anspruch des SRF mit Ihrem christlichen Ansatz zusammen? Wir sind ein Spartenprogramm, genauso wie ein Automagazin inhaltlich ein Spezialgebiet ist. Sie gehen neu-tral an einen Autotest heran. Wir haben das Spezialgebiet „christliche Religion“. So verstehe ich das.

Aber die Sendung wirbt ja irgendwie doch für das Christentum. Ja, das entspricht aber wie gesagt unserem Sendeauftrag: „Gelebtes Christsein abbilden“, das so in unserem Mandat festgehalten ist.

Sie erhalten jeweils einen Fünfjahresvertrag von der SRG. Haben sich im Laufe der Zeit die Vorgaben geändert?

Was sich ändert, ist die Zielsetzung beim Marktanteil. Den muss man anpassen. Wir haben immer noch einen guten Marktanteil von 5,5 Prozent, hatten aber auch schon über sechs Prozent. Aber auch das SRF verliert zunehmend an Zuschauern. Die Vorgaben bei Inhalten und Sendezeiten haben sich nicht geändert.

Wie funktioniert Gott im Fernsehen eigentlich? Passt das zusammen?

Salopp würde ich sagen, dass Gott im Fernsehen per se nicht funktioniert. Es funktioniert dann, wenn es an Menschen, an Schicksalen, festgemacht ist. Man braucht im Fernsehen eine Identifikationsfigur. Wenn die Person spannend und authentisch rüberkommt, dann nimmt man ihr auch ihre Gotteserfahrung ab. Man kann Impulse für das eigene Leben mitnehmen.

Bibel TV macht Verkündigungsfernsehen. Was halten Sie davon? Ich bin ein Fan von einem spannenden Gottesdienst, den aber im Fernsehen abzubilden ist schwierig. Die Atmosphäre kommt oft nicht rüber und auch der Kontext, dessen was gesagt wird, wird anders empfunden. Ein Predigtkontext ist in der Regel für eine spezielle Gemeinde gedacht. Die Gottesdienstbesucher wissen um was es geht, der Fernsehzuschauer nicht. Das befremdet mich selbst oft, wenn ich das sehe.

Kritiker sagen, dass Ihre Sendung immer nach dem gleichen Schema aufgebaut ist. Ein Mensch kommt in die Krise und findet dann zu Gott ...

Das streite ich nicht grundsätzlich ab. Es ist ja ein Teil des Evangeliums, dass vor allem Kranke und Schwache zu Jesus kommen und Hilfe erfahren. Wenn man krank und schwach ist, ist man eher bereit, sich für Gott zu öffnen. Das ist die sogenannte „Jesus-Kurve“. Mir geht es schlecht, und dann wird alles wieder gut. Im Lauf der Jahre haben wir aber versucht, dieses Schema aufzubrechen. Wir versuchen Geschichten spannender und auch komplexer zu erzählen, nicht so kurzschlüssig. Wir lassen auch mehr Zweifel zu. Auch Enttäuschungen mit Gott oder an Gott.

Wie haben die Moderatoren Ruedi Josuran und Aline Baumann die Sendung verändert?

Als René Meier Moderator war, zeichneten wir die Talkshow hier in Wangen bei Olten im Studio auf. Mit Ruedi Josuran wurde das Konzept bewusst geändert. Er geht mit den Leuten an Orte, die ihnen wichtig sind, oder etwas mit ihrem Leben zu tun haben. So ist er näher dran und kommt mit den Gästen tiefer ins Gespräch als in einem Fernsehstudio. Zudem kann man kreativer mit den Kameras arbeiten. Wir gehen aber auch mit Aline Baumann vermehrt aus dem Studio an spannende Drehorte.

Wie hat sich die Sendung in den 20 Jahren sonst weiterentwickelt?

Heute klingt sprachlich manches natürlich anders. Vieles stellen wir nicht mehr so plakativ dar, es wird schneller geschnitten und die Aufnahmetechnik ist jetzt Breitbild HD. Das Fernsehen ist insgesamt schneller und bewegter geworden. Inhaltlich suchen wir aber weiterhin relevante, lebensnahe Themen und keine frommen. Wir bilden das ab, was Menschen in unserer Gesellschaft bewegt.

Sind die Zuschauer bezüglich Religion im Fernsehen empfindlicher geworden? Wir versuchen, wie gesagt, keine dogmatischen Themen aufzugreifen. Wir wollen Geschichten aus dem Alltag zeigen, in denen der Glaube als Hilfestellung vorkommt. Das wird von den Zuschauern nach wie vor angenommen. Einzelne Stimmen gibt es natürlich, die sagen, dass ihnen das alles zu fromm ist. Aber viele berichten, dass ihnen die Sendung weitergeholfen, sie betroffen gemacht hat – auch Personen, die nicht unbedingt Christen sind. Die Leute stimmen mit der Fernbedienung ab. Wenn Zigtausend Zuschauer jedes Wochenende einschalten, dann scheint es doch zu funktionieren.

Religion wird in den Medien meistens in einem negativen Kontext thematisiert. Färbt das nicht auf Sie ab?

Religion ist ein schwieriges Thema. Wir reden aber hoffentlich nicht über Religion, sondern über persönlichen Glauben. Da mache ich einen Unterschied.

Können die Zuschauer diesen Unterschied auch machen?

Es ist wichtig, wie sie es empfinden, ob das dogmatisch rüberkommt. Wir sind auf die Wirkung bedacht. Wir wollen keine Religion, sondern eine persönliche Hilfestellung anbieten. Dass man sich im Leben an einen persönlichen Gott wenden kann.

Glaube ist weiterhin ein gefragtes Thema?

Spirituelles ist immer ein riesiges Thema. Das Interesse daran nimmt nicht ab

Auf welche Themen reagieren die Zuschauer besonders stark?

Das sind die existenziellen Themen, die mit Krisen zu tun haben. Es braucht ein Konfliktpotenzial, einen Bruch, der eine Sendung spannend macht. Gute Nachrichten sind keine Nachrichten, das ist leider so. Erst wenn etwas Spannendes in einer Biografie passiert, wird es interessant.

Gibt es nach 1000 Episoden einzelne, die für Sie herausstechen?

Mich bewegen immer Sendungen zum Thema Christenverfolgung und Flüchtlinge. Wir haben gerade eine Sendung mit dem Titel: „Diagnose unheilbar“ gemacht. Solche Schicksale gehen einem natürlich nahe. Wir wagen uns auch an Themen, die wir früher nicht gemacht haben, etwa Parkinson oder Alzheimer. An eine Sendung erinnere ich mich, die von Kindern mitgestaltet wurde.

Gibt es eine Sendung, die man hinterher lieber nicht gemacht hätte, oder anders?

Das gibt es natürlich. Sendungen, in denen der Protagonist nicht ideal war, oder die Geschichten sich zu stark geähnelt haben. Manchmal hatten wir zu wenige Bilder, es war mehr Radio als Fernsehen. Es ist mehr der eigene journalistische Anspruch, der uns einzelne Sendungen als schwach empfinden lässt.

Das klassische Programmfernsehen befindet sich auf dem absteigenden Ast. Wie wollen Sie sich an die verändernde Medienwelt anpassen?

Zum Glück ist die Schweiz diesbezüglich etwas konservativ. Die Leute hängen schon noch am Programmfernsehen. Wir merken aber, dass viele über das Internet schauen.Unsere Sendungen sind in der Mediathek vom SRF erhältlich und auf unserer neuen Webseite. Ausserdem begleiten wir einzelne Sendungen auf Facebook, stellen dort zusätzliches Bildmaterial ein, etwa vom Dreh, geben Hintergrundinformationen und bieten Feedbackmöglichkeiten. Hinzu kommt unser eigener YouTube-Kanal. Unser Fokus liegt darauf, gute Inhalte zu produzieren. Das heisst aber nicht, dass wir nicht alle anderen Wege mitgehen. Man könnte in Zukunft nicht nur ganze Sendungen, sondern einzelne Geschichten im Internet platzieren, das wird sich zeigen.

Ist eine Sendung fürs Fernsehen auch für das Internet geeignet?

Wenn man sie nur für das Internet machen würde, müsste man alles kürzer erzählen. Aber wir passen uns den klassischen Sehgewohnheiten im Fernsehen an.

Finden Sie, dass etwas verloren geht, wenn das Programmfernsehen verschwindet?

Vielleicht schaut man weniger miteinander Fernsehen. Es ist ein tolles Erlebnis, gemeinsam ein Fussballspiel oder einen Tatort zu sehen. So kann man über Nachrichten oder über einen Film sprechen. Heute weiss man nicht mehr, was der andere gesehen hat. Das ist aber nicht existenziell.

Geht nicht auch das breite Publikum verloren?

Für die Werbeindustrie geht sicher etwas verloren, weil die Zuschauerzahlen pro Sendung abnehmen. Die Quoten werden zerfleddert.

Haben Sie im Fernsehen ein Stammpublikum oder viele Leute, die durchzappen?

Das ist schwer zu sagen. Es gibt viele, die Fenster zum Sonntag regelmässig sehen. Ganz oft hören wir aber von Bekannten, dass sie zufällig eingeschaltet haben. Wir haben den Eindruck, dass wir nicht nur ein frommes, sondern ein breites Publikum haben.

Haben Sie eigentlich einen Plan B, falls die SRG die Sendung eines Tages absetzen sollte?

Dann müssten wir schon sehr, sehr schlecht werden. Das haben wir nicht vor. Nein, wir haben keinen Plan B.

Was ist Ihre persönliche Motivation, diese Sendung zu machen?

Matthäus 28,19 sagt: „Geht hin in alle Welt! Verkündigt!“ Das ist ein Kommunikationsauftrag. Verkündigen heisst für mich kommunizieren. Die Kirchen sagen: „Kommt herein, lernt unsere Lieder, redet so wie wir!“ Und wir wundern uns, dass das nicht funktioniert. Jesus sagt: „Macht mich öffentlich! Macht das öffentlich, was ich gesagt habe.“ Der Zuschauer kann selbst entscheiden, ob das für ihn passt oder nicht. Die biblische Botschaft öffentlich, nachvollziehbar, verständlich zu machen – und das professionell, das finde ich einen wichtigen Auftrag.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Interview: Christof Bauernfeind

Zur Person

Jürgen Single (63) ist verheiratet und hat einen Sohn. Der Diplom-Pädagoge (Studium als Grund-, Haupt- und Realschullehrer Mathematik, Musik, Theologie) arbeitet seit fast 30 Jahren in den Medien als Fernsehjournalist. Seit 22 Jahren ist er Produzent der Alphavision und Chefredaktor der TV-Reihe Fenster zum Sonntag.

Die Geschichte des „Fenster zum Sonntag“

Im Jahr 1990 entstanden in Wangen bei Olten aus einer alten Schreinerei die Studios der Alphavision AG. Mit vier einstündigen Sendungen unter dem Titel „Antenne Aktuell“ startete man den ersten privaten Regionalfernsehversuch. Die Sendung „Fenster zum Sonntag“ war zunächst im Regionalfernsehen in Zürich zu sehen. Um die Arbeit breiter abzustützen, wurde 1992 die Stiftung Christliches Fernsehen gegründet, zu der die Schweizerische Evangelische Allianz, der Freikirchenverband VFG und Christliche Geschäftsleute gehören. Im Mai 1995 erteilte der Bundesrat der Alphavision eine Sendekonzession für die wöchentliche Ausstrahlung von Fenster zum Sonntag im Schweizer Fernsehen. Seither wurden über 1000 Sendungen produziert mit insgesamt etwa 60 Millionen Einschaltungen. Der Marktanteil erreicht heute 5,5 Prozent, was etwa 70 000 Zuschauern pro Wochenende entspricht. Die TV-Reihe zeigt abwechselnd das „Magazin“ mit Moderatorin Aline Baumann, das von der Alphavision produziert wird, und den „Talk“ mit Ruedi Josuran, für den ERF Medien in Pfäffikon ZH zuständig ist. Sendetermine: Samstag, 17.40 Uhr und Sonntag 12.00 Uhr auf SRF zweiSamstag 18.30 Uhr und Sonntag 17.45 Uhr auf SRF info

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